Der ORF als „kritische Infrastruktur“ ist ein geflügeltes Wort im Krisenjahr 2020 geworden. Allein: Dem Wort „kritisch“ wird nicht jene Bedeutung beigemessen, die im öffentlich-rechtlichen Journalismus angebracht wäre. Überzeugender wäre der ORF etwa, wenn er die Übertragung der Regierungspressekonferenzen nicht dann stoppen würde, wenn die Journalisten im Raum ihre teils sehr kritischen Fragen an Kanzler Kurz und Co. richten. Die Privatsender bleiben da drauf, während man im ORF ins Studio schaltet, wo dann Kommentatoren bisweilen sehr freundlich drüber befinden, was die Regierung so vorhat. Auf der Habenseite steht jedenfalls, dass Millionen zugesehen haben, wie der ORF nachrichtlich durch die Krise geführt hat – dieses Bild trüben auch manch zahnlos geführte Interviews nicht.
Was man sich von der eingangs erwähnten Medienpolitik nicht erwarten darf: eine moderne Ansage in puncto Führungsaufstellung. Warum der ORF-Generaldirektor im Jahr 2020 immer noch als Alleingeschäftsführer agiert, ist nicht argumentierbar. Aber die viel kritisierte Organisationsstruktur ist nur dann ein Dorn im Auge, wenn andere politische Kräfte am Ruder sind. Auch Türkis-Grün ist hier keine Ausnahme.
Die Wirtschaftspartei ÖVP wird jedenfalls daran zu messen sein, mit welcher Qualität die ORF-Geschäftsführung besetzt wird. Die kursierenden Namen aus dem Unternehmen haben ihre Qualitäten, aber es kann nicht angehen, dass ein Unternehmen mit einer Bilanzsumme von einer Milliarde Euro keine internationalen Bewerber anzieht. Es ist schön, wenn einzelne Kandidaten der Kanzlerpartei politisch in den Kram passen, aber kann das in Zeiten wie diesen als Entscheidungsgrundlage dienen? Sieht man sich an, vor welchen Herausforderungen der ORF steht, wäre uns allen (den Sehern und Bürgern mit Informationsbedürfnis) ein großer Dienst erwiesen, wenn die allerbesten Köpfe zum Zug kommen – auch gerne aus dem Unternehmen.
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