Für viele Beobachter ist die Entscheidung schon längst gefallen: Wrabetz hat in den vergangenen Monaten alles daran gesetzt, sich mit Postenbesetzungen bei der türkisen Regierungsmacht beliebt zu machen.
Da waren etwa Channelmanager auszuschreiben: Die Chefin von ORF1, Lisa Totzauer, ist ebenso ÖVP-kompatibel wie der Channelmanager von ORF2, Alexander Hofer. Auch weiter unten in der Hierarchie sind die Besetzungen zumindest nicht unangenehm für die ÖVP.
Die Grünen dürfen – was auch ihrem medienpolitischen Selbstverständnis entspricht – mit keinen Jobs punkten. Sendezeit bekommen jedoch auch sie: Wenn um 20.15 Uhr eine inhaltsleere Sonder–„ZiB“ zu Corona-Maßnahmen programmiert wird, kommt darin der Kanzler vor. In der „ZiB2“ darf dann ein grüner Regierungspolitiker auftreten. Die Opposition? Der empfahl ORF-TV-Innenpolitikchef Hans Bürger in einer „Zeit im Bild“ vor Weihnachten, „es nicht allzu sehr zu übertreiben“.
Dass ausgerechnet der rote Generaldirektor Wrabetz als Kompromisskandidat für türkis-grün enden könnte, ist eine gewagte These – von der Hand zu weisen traut sie sich aktuell niemand. „Wer Wrabetz unterschätzt, soll nachschlagen in der Geschichte“, erklärt ein langjähriger Begleiter dem KURIER. Der ORF-Chef hat sich schon aus übleren Positionen zurückgekämpft: Türkis-Blau wollte ihn mit einer umfassenden Reform vor die Tür setzen und den Rundfunk zurechtstutzen – dann kam Ibiza.
Die darauffolgende türkis-grüne Regierung lernte den ORF von Beginn ihrer Amtszeit an von seiner praktischen Seite kennen: In der Krise schauen die Österreicherinnen und Österreicher öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Privaten punkteten mit tollem Programm, hatten aber in der Sehergunst das Nachsehen: Eine „Zeit im Bild“, in der Sebastian Kurz im März den Lockdown verkündete, hatte fast drei Millionen Zuseher. Politische Annäherung geschieht oft auch über schlichte Arithmetik.
Wie aus Koalitionskreisen zu hören ist, ist die Suche nach der künftigen Nummer eins auf dem Küniglberg noch nicht annähernd abgeschlossen. Fest steht nur eines: Im Koalitionsvertrag ist festgeschrieben, dass Türkis und Grün einander nicht überstimmen – dem Vernehmen nach gilt das auch für den ORF–Stiftungsrat. Wer also künftig an der ORF-Spitze steht, hat nach der Logik auch einen grünen Stempel.
Er oder sie hat jedenfalls eine Mammutaufgabe vor sich: Die im Dezember verabschiedete Strategie bis 2025 verordnet dem ORF eine Digitalisierungskur. Der neue ORF-Player ist das sichtbarste Element dessen. Die Abspielstation des Öffentlich-Rechtlichen soll nicht nur technisch alle Stücke spielen, sondern auch inhaltlich neue Wege gehen und den gesamten Bewegtbildmarkt mitreißen.
Sobald die Regierungsparteien wieder Luft haben, wird ein neues ORF-Gesetz fertig verhandelt, das nach Vorstellung des Öffentlich-Rechtlichen auch erlaubt, Sendungen zu produzieren, die ausschließlich auf dem Player laufen sollen. Auch die Regelung, wonach Sendungen nach sieben Tagen wieder gelöscht werden müssen, soll durch eine zeitgemäßere ersetzt werden.
Auch im Radio steht man angesichts des Podcast-Booms vor ähnlichen Herausforderungen: Hier werden vor allem Ö1 und FM4 weiterentwickelt werden müssen, heißt es.
Klingt logisch, ist aber radikal. Der ORF ist gewachsen aus seinen Sparten: Fernsehen, Radio, viel später Online – so lauten die Zuständigkeiten und die Verteilung der Hausmacht. Hier neue Arbeitsweisen zu etablieren bedarf hoher Kenntnis – und Entscheidungsfreude.
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