Nationalstaaten, die schützen – können?

„Europa, das schützt“. Die EU-Ratspräsidentschaft wollte diesem Slogan folgen, aber Europa zerbröselt.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Das Leben besteht aus Kompromissen, das politische erst recht. Also war klar, dass die Berliner Regierung nur überleben kann, wenn Kanzlerin Merkel und Innenminister Seehofer einen finden. Leider ist die Einigung ein Signal an die Renationalisierung in Europa – die österreichische Regierung hat den Ball aufgegriffen und „schützt die Südgrenzen“. Plötzlich ist nicht mehr von den Außengrenzen die Rede. Italiens Innenminister Salvini freut sich sogar mit bemerkenswerten Worten über den geschlossenen Brenner: „Grenzkontrollen sind ein Geschäft“. Übrigens ein Geschäft mit Menschenleben. Der Bürgermeister der Grenzgemeinde sieht hingegen „kein Problem“ mit Flüchtlingen. Nationalistische Parolen schlagen die Realität.

Bundeskanzler Kurz hat bei seiner Antrittsrede vor dem europäischen Parlament in Straßburg von einem „Paradigmenwechsel“ in der Flüchtlingspolitik gesprochen, auch den Schutz der Außengrenzen betont. Seinem Parteifreund Karas war das europäische Engagement aber offenbar zu wenig. Anders als Kommissionspräsident Juncker, der das vertraute Du wählte, appellierte Karas per Sie an den Kanzler: „Geben Sie der Idee Europas ihre Seele zurück.“ Und Karas wandte sich gegen „nationalistische, populistische und egoistische Alleingänge“. – Diese sind aber momentan nicht zu stoppen.

Die Politiker spüren, dass viele Bürger eher nationalen Lösungen trauen als europäischen. Überall in der EU wurde ja „Brüssel“ lange für alles Schlechte verantwortlich gemacht. Allerdings ist die EU juristisch und ökonomisch stark verflochten. Nationale Lösungen sind in der Praxis viel mühsamer. Aber sie entsprechen dem Zeitgeist, dem sich nur noch wenige entgegenzustellen trauen.

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