Migration: Österreich sucht den Sündenbock

Bulgarische Kontrollen an der Grenze zur Türkei
Protest gegen die hohen Migrationszahlen ist berechtigt. Aber ein Veto gegen die Schengen-Erweiterung hilft niemandem
Ingrid Steiner-Gashi

Ingrid Steiner-Gashi

Fehlerhafte Systeme soll man nicht ausbauen, ehe sie nicht repariert wurden – und „das Schengensystem funktioniert nicht, weil immer mehr Migranten kommen“. Aus dieser Logik heraus stemmt sich Innenminister Gerhard Karner gegen die Aufnahme weiterer Staaten in den Schengenraum. Am Donnerstag will er beim Rat der EU-Innenminister deshalb ein Veto einlegen. Durchaus bemerkenswert, zumal Österreich in Brüssel sonst nicht mit Vetodrohungen herum wachelt.

Aber einen Vorwurf kann man Karner, Kanzler Nehammer und dem grünen Koalitionspartner, der die Entscheidung erstaunlich widerspruchslos mitträgt, nicht ersparen: Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Denn die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in den Schengenraum lehnt die Regierung ab, will aber bei Kroatiens grünes Licht geben.

Kein Wunder, eines der liebsten Urlaubsländer der Österreicher, will man nicht vergraulen. Und wenn die meereshungrigen Adria-Reisenden dann auch nicht mehr stundenlang an der slowenisch-kroatischen Grenze warten müssen, freut das das österreichische Urlauberherz.

Bei Kroatien ist die österreichische Regierung auf dem Migrationsauge blind. 40 Prozent aller 75.000 Asylansuchen in Österreich kamen heuer von Migranten, die in Serbien landeten. Ein Blick auf die Landkarte genügt, um zu sehen, dass es von dort nur zwei Routen nach Österreich gibt: über das Schengen-Land Ungarn – wo Migranten offenbar zügigst durchgewunken werden. Und über den Schengen-Beitrittskandidaten Kroatien.

Natürlich weiß man in Wien, dass auch über Kroatien Migranten nach Norden ziehen und Ungarn durchwinkt, aber all das scheint weniger wichtig, als anderswo so richtig auf den Tisch zu hauen. Mit einem Veto wird Österreich in ganz Europa gehört: Ja, wir haben im Verhältnis viel mehr Asylansuchen als andere EU-Staaten; ja, die Belastung ist zu groß; ja, der Zustrom von Migranten muss verringert werden. Kurz gesagt: Österreich protestiert zurecht bei der EU.

Bedauerlich ist nur, dass dieser Protest nicht das wahre Problem angeht – nämlich die nicht existierende gemeinsame EU-Migrationspolitik. Und da sind alle an der Nase zu nehmen – von der EU-Kommission bis hin zu jedem einzelnen EU-Staat, Österreich inklusive.

Stattdessen zielt Österreich mit seinem Veto auf die Falschen: Bulgarien und Rumänien haben alle technischen Voraussetzungen erfüllt, um dem Schengenraum beizutreten. Das hat übrigens die Regierung in Wien schon vor einem Jahr bestätigt. Dass sie nun also eine Kehrtwende vollzieht, lässt vermuten, dass die Regierung dem Wahlvolk einen Schuldigen für die unerwünschten Migrationszahlen präsentieren will. Bulgarien und Rumänien werden so Bauernopfer einer österreichischen Politik, die für viel Wirbel sorgt – aber genau keines der Migrationsprobleme löst.

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