Kaum hat er nun gesprochen, springen sofort Etliche aus ihrem ideologischen Gatsch an die Decke: So ein Feigling, ein Zauderer, liest man in den ersten Postings nach seiner vorläufigen Regierungsbildungsauftragsverweigerung. Andere sind heilfroh darüber, dass die FPÖ nicht automatisch freie Fahrt hat (wie sie es unter einem Bundespräsidenten Norbert Hofer bestimmt gehabt hätte). Und die größte Gruppe rätselt, was er eigentlich genau gesagt hat, wie bei Asterix, wo die Worte des Sehers gedeutet werden oder bei Monty Python’s „Das Leben des Brian“: „Er hat uns ein Zeichen gegeben.“ Ja, welches denn? Hermeneutik für die Hofburg, ein wichtiges Studienfach.
Bleiben wir zunächst bei den leichtesten Schlussfolgerungen. Van der Bellen hat mehr oder weniger festgestellt, dass er die drei nach der Wahl auf den ersten drei Plätzen liegenden Parteichefs für noch nicht bereit dazu hält, konkret eine Regierung zu bilden. Hat er doch recht damit, oder?
Er hat sie dazu animiert, miteinander zu reden und dann wieder zu ihm zu kommen. Auch nicht übel, ein Aufruf zum Gespräch.
Er hat dokumentiert, dass er nicht die alleinige Weisheit besitzt, über die Köpfe der Parteien und der Wähler hinweg Dinge zu verfügen, aber dennoch bereit ist, die üblichen Pfade zu verlassen.
Er hat zu verstehen gegeben, dass selten so heiß gegessen wird, wie von Populisten gekocht. Und bei all dem hat er eine vielen abhandengekommene Gemächlichkeit ausgestrahlt.
Warum das im Moment gescheit ist: weil er den Ball damit an die aktiven Spieler zurückgibt und nicht a priori den Oberschiedsrichter gibt; weil er Kickl nicht völlig übergeht, aber ihn mit 29 Prozent nicht als Volkskanzler für gesetzt hält; weil nirgendwo in der Verfassung etwas von einem Regierungsbildungsauftrag an den Stärksten steht; und weil VdB so die Schönheit der österreichischen Realverfassung lebt: zunächst einmal warten, wird schon passen.
Die FPÖ, die weiterhin einen De-facto-Anspruch der Nummer 1 aufs Kanzleramt sieht, hat übrigens ihr eigenes Argument schon im Jahr 2000 widerlegt, als sie die Nummer 3 ins Kanzleramt gehievt hat. Vielleicht wird man sich am Ende auch diesmal noch wundern, was alles möglich ist.
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