Die Meinungsfreiheit ist ein wehrloses Opfer. Sie wird in der heutigen Streitkultur bei jeder Gelegenheit gerade von all jenen beschworen, die Extremes, Dummes, Giftiges von sich geben. Und es stimmt, sie haben das Recht, Extremes, Dummes, Giftiges zu sagen. Es bleibt halt extrem, dumm, giftig.
So ist es kein Wunder, dass auch in der Antisemitismusdebatte, die sich um die Wiener Festwochen entsponnen hat, nun auf Meinungsfreiheit gepocht wird. Und man hat gelernt: Gerade dann, wenn Politiker das Prinzipielle beschwören, muss man hellhörig werden.
„Das Prinzip der Demokratie- und Meinungsfreiheit muss bestehen bleiben“, sagt also die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler. Damit rechtfertigt sie, dass bei den Wiener Festwochen zwei Menschen in einen „Rat“ berufen wurden, gegen die (vor allem von der ÖVP) prompt Antisemitismus-Vorwürfe erhoben wurden.
Es dürfe in der Kultur keine „Gesinnungsprüfungen jedweder Art“ geben, sagt Kaup-Hasler. Damit meint sie Berlin (dort war überlegt worden, dass Künstler sich gegen Antisemitismus bekennen müssen, um Förderungen zu bekommen). An sich aber ist das ein schrecklicher Satz: Er stellt den Antisemitismus, der in diesem Land aus gutem Grund nicht in derselben Reihe wie andere Gesinnungen steht, auf eine Stufe mit, sagen wir mal, Neoliberalen, Antikapitalisten, rabiaten Fleischessern oder rabiaten Veganern.
Das Bekenntnis gegen den Antisemitismus, das „Nie wieder“ ist aber eines der Grundprinzipien der Zweiten Republik. Es geht hier nicht um eine beliebige Gesinnung, die man halt auch diskutieren soll, damit es ja nicht einseitig ist. Da reicht es auch nicht, das mit dem breiten Pinselstrich „Meinungsfreiheit“ zu übermalen: Zu Antisemitismus haben wir uns die Meinung bereits gebildet, und Schluss.
Natürlich, die Bestandsaufnahme ist klar: Das Land ist weiter von Antisemitismus durchtränkt. Der kommt von links, von rechts, aus den Religionen, aus der Geschichte. Neuerdings auch, siehe documenta und Berlinale und Venedig-Biennale, aus der Kultur.
Die will nämlich den Stimmen der im Kolonialismus unterdrückten Länder Raum geben. Und tut dann regelmäßig überrascht, wenn diese Stimmen Dinge sagen, die aus gutem Grund in Europa abgelehnt werden. Ja, da geht es oft um einseitige Israelkritik und Antisemitismus. Für die europäische Debatte ist diese Sicht wertlos.
Und als das muss man die Positionen, die die Wiener Festwochen in diesen „Rat“ holen, auch benennen. Die Festwochen, die Kultur insgesamt und auch die Kulturstadträtin agieren hier wie Zauberlehrlinge, die die giftigen Geister, die sie riefen, nicht mehr loswerden. Und tun dabei so, als würden sie etwas zur Meinungsfreiheit beitragen.
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