Gast(arbeiter)freundschaft

Gast(arbeiter)freundschaft
Die Rechnung für die politische Prokrastination bekommen wir allenthalben serviert.
Johanna  Hager

Johanna Hager

Österreichs Parteien verschreiben sich gerne „dem Bohren harter Bretter“, dem „an Stellschrauben drehen“. Ein richtiges Werkzeug, um in einer Zeit der sich stetig veränderten Arbeitsmarktbedingungen zu agieren und nicht nur zeitverzögert zu reagieren, das haben sie seit Jahrzehnten (!) nicht.

Die Rechnung für die politische Prokrastination bekommen wir allenthalben serviert. Ganz abgesehen von der demografischen Entwicklung, der sich Große Koalitionen bis hin zur türkis-grünen Regierung sehenden Auges verschlossen haben wie den damit einhergehenden Auswirkungen für Arbeitsmarkt und Pensionssystem.

Es war immer absehbar, dass Österreich bevölkerungsreicher und älter wird. Dass sich die Geburtenbilanz jetzt zudem ins Defizit verkehrt, die Babyboomer bald in Pension gehen werden, wird das System ins Wanken bringen. Erodieren tut es bereits.

Jüngstes Beispiel: Dieser Tage sucht eine Wirtschaftsdelegation mit ÖVP-Minister Martin Kocher in Indien nach Fachkräften für Österreich. Und zwar nicht nach IT-Spezialisten, wie man denken könnte, sondern nach Köchen sowie Chauffeuren, die Lkws und Busse in Österreich lenken sollen. Die ÖBB haben ebensolche schon in Spanien und Kroatien gefunden, die nun als Postbusfahrer in heimischen Winterskigebieten ihr Geld verdienen, weil der Arbeitskräftemangel ohne Nicht-Österreicher nicht mehr zu beheben ist.

Niederösterreich lässt seit einem Jahr 150 Pflegekräfte in Vietnam ausbilden, um zumindest den Versuch zu unternehmen, den Personalbedarf zu decken. Und der ist enorm. Bis 2030 fehlen 100.000 Pflegefachkräfte. Weiteres Beispiel gefällig?

Die Austrian Business Agency sucht in Brasilien, Indonesien und den Philippinen im IT-, Technik- und Life Science-Bereich Fachkräfte, um Österreich wettbewerbsfähig zu halten. Das Problem dabei? Überall dort, wo wir zu suchen beginnen, buhlen andere EU-Staaten längst um Personal – zu teils besseren Konditionen. Damit gemeint ist nicht die teils überbordende Bürokratie, die Österreich nicht und nicht abzubauen imstande ist, sondern die „Festungsmauern“, die aufgebaut werden. Mental, emotional, verbal.

Wer will seine Heimat verlassen, um in einer Tausende Kilometer entfernten "Festung Österreich“ zu arbeiten, in der Gastfreundschaft im Wirtshaus, aber nicht für den Arbeitsmarkt gilt? In der über eine „Leitkultur“, aber keine "Willkommenskultur“ für gefragtes Personal gesprochen wird? Eben die wird aber notwendig sein, um die Not am Arbeitsmarkt zu lindern. Österreich kann ein attraktiver Arbeitsort sein, wie die Zeit beweist, in der Arbeitsmigranten noch "Gastarbeiter“ genannt wurden. Heute muss Österreich erst wieder attraktiv werden. Und zwar schnell.

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