Europa ist zum Zuschauen verdammt

US-First Lady Jill Biden, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij, US-Präsident Joe Biden
Wer Selenskij und die USA kritisiert, vergisst eines: Europa kann den Krieg nicht beenden – uns fehlt dafür jegliches Druckmittel.
Evelyn Peternel

Evelyn Peternel

Der Mann sei zu melodramatisch, zu fordernd, zu frech, unkte manch Beobachter nach dem emotionalen Auftritt Selenskijs im US-Kongress. Und der Vergleich mit Churchill, der 1941 an der selben Stelle stand und die Amerikaner um Hilfe bat? Sei völlig unangebracht.

Wer so argumentiert, vergisst eines: Der Mann, der von Weihnachten in bitterer Kälte und ohne elektrisches Licht erzählte, hat diesen Umsturz der globalen Ordnung nicht provoziert. Der Aggressor sitzt bequem im Warmen im Kreml und versucht all das umzukehren, wofür sich der Westen seit Churchills Zeiten einsetzt.

Es geht am Kern der Sache vorbei, Selenskij dafür und die USA für ihre Unterstützung gegen diese irrsinnige Aggression zu kritisieren. Washington hilft der Ukraine ja nicht aus Eigennutz, wie wir Europäer manchmal argwöhnen. Und die USA unterstützen die Ukrainer auch nicht, um den von Russland abhängigen Europäern teures LNG-Gas zu verkaufen. Die USA wollen nicht, dass Russland gewinnt – und das sagen sie viel deutlicher als die Europäer.

Natürlich geht es da um westliche Einflusssphären. Aber was wäre gewesen, hätten die USA zu Kriegsbeginn keine Waffen geliefert? Selenskij wäre heute ziemlich sicher nicht mehr Präsident, womöglich sogar tot. Russland hätte Fakten geschaffen – vor Europas Haustür. Und Moskau hätte eine Blaupause geschaffen: Frisst Russland die Ukraine, fühlen sich Nachwuchsimperialisten weltweit zu Ähnlichem animiert – nicht umsonst zündeln die Russen am Balkan, nicht umsonst tönt Peking plötzlich lauter, dass es sich Taiwan zurückholen wolle. Die globalen Konsequenzen eines solchen Krieges will man sich nicht ausmalen.

Es ist eine bittere Realität, der man sich hier endlich stellen muss: Europa ist in diesem Krieg nur ein besserer Statist, militärisch wie diplomatisch. Washington hat mehr als doppelt so viel Militärhilfe geleistet wie die Staaten Europas – und das, obwohl wir die Hauptbetroffenen sind. Die USA sind auch die einzigen, die Selenskij von seinem Standpunkt abbringen können, sich niemals mit Putin an einen Tisch zu setzen. Drosselt Washington die Waffenlieferungen, können die Europäer das nie und nimmer kompensieren, die Ukraine wäre zum Verlieren verdammt. Zu einem sind die USA freilich definitiv nicht bereit: Sich mit Soldaten in einen Krieg in Europa einzumischen.

Das sollte jenen, die auf Washington schimpfen und nach Frieden rufen, bewusst sein: Putin lässt sich nicht mit guten Ratschlägen bekämpfen. Europa hat kein Druckmittel, zahlt aber den Preis des Krieges. Das ist so bitter wie die Erkenntnis, dass Diplomatie seit 2022 nur mit militärischer Macht als Hebel funktioniert. Die USA wissen das. Die Europäer werden das lernen, wenn die Republikaner das Weiße Haus zurückerobern. Dann müssen wir nämlich selbst sehen, wie wir mit Putin klarkommen.

Europa ist zum Zuschauen verdammt

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