Dr. Draghi und der europäische Patient

Europa hängt noch am Tropf – der US-Patient kann hingegen in häusliche Pflege entlassen werden.
Hermann Sileitsch-Parzer

Hermann Sileitsch-Parzer

War das die Wende zum Besseren oder geht es weiter bergab?

von Hermann Sileitsch-Parzer

über das Kaufprogramm der EZB

Wann ist die Krise endlich zu Ende? Die bestmögliche Antwort lautet: Wenn bei den Zentralbanken wieder Normalität einkehrt. Und das ist, wie die jüngste Entscheidung der Europäischen Zentralbank zeigt, in Europa noch lange nicht der Fall. Sie wird bis Herbst 2016 frisches Geld im Wert von unglaublichen 1,14 Billionen Euro drucken, um damit der Konjunktur – und indirekt auch der Preisentwicklung – auf die Sprünge zu helfen.

Das zeigt, wie sehr sich die Wirtschaftslage in den USA und Europa seit der Krise auseinanderentwickelt hat. Und zwar leider zuungunsten des alten Kontinents. In den USA durfte Präsident Barack Obama die Krise soeben für beendet erklären – mit einigem Recht. Die US-Notenbank lässt ihre Notmaßnahmen auslaufen, für Sommer wird die Wende zu höheren Zinsen erwartet. Alles Anzeichen einer langsamen Gesundung.

In Europa sieht es nicht so gut aus. Der Patient liegt noch auf der Intensivstation und Doktor Draghi hat ihn soeben an einen neuen, riesigen Tropf angehängt.

Fair ist das nicht. Schließlich hatte die Krise ihren Ursprung bei amerikanischen Ramsch-Krediten. Dass sich die USA so viel rascher erfingen, hat vor allem drei Gründe: Sie mussten sich nicht mit einer Griechenland-Krise und einem möglichen Währungskollaps aufhalten. Ihre Schiefergas-Förderung ermöglichte ein imposantes Industrie-Comeback. Und die Amerikaner haben, in unerschütterlichem Optimismus, nicht lange gefackelt, sondern gleich mit riesigem Geldeinsatz gegen die Krise angekämpft. Europa folgt nun mit erheblicher Verspätung.

Wird diese enorme Geldspritze reichen? Eines steht fest: Die EZB schöpft ihre Möglichkeiten voll aus. Sie will sich nicht vorwerfen lassen, nicht alles in ihren Kräften Stehende gegen einen neuerlichen Absturz in die Rezession oder die gefürchtete Deflation getan zu haben.

Die EZB kann aber nicht alleine für die Gesundung sorgen. Billiges Geld macht wenig Unterschied – daran bestand schon bisher kein Mangel. Viel entscheidender ist, ob nun mehr von den Regierungen kommt. Die EZB hat den Boden bereitet, jetzt müssen ernsthafte Reformen folgen. Nur dann können die Unternehmer neues Vertrauen schöpfen, dass sich Investitionen lohnen, und die Konsumenten die Geldbörse öffnen, ohne sich darum sorgen zu müssen, ob sie auch morgen noch einen Job haben werden. Das würde die Wirtschaft auf einen Wachstumspfad bringen.

Damit sind nicht allein die Krisenländer gemeint. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel macht sich jetzt schon Sorgen, wie die EZB aus diesem Krisenprogramm wieder rauskommt – noch bevor die erste Anleihe gekauft wurde. Ist Berlin überhaupt bewusst, wie ernst der Zustand der Eurozone noch ist? Und Österreichs Regierung gelingt es bis dato überhaupt nicht, mit der geplanten Steuerentlastung für positive Stimmung zu sorgen – die Bevölkerung zittert eher vor neuen Belastungen. Das Wort "Krise" meinte ursprünglich den Wendepunkt bei einer gefährlichen Erkrankung. Zum Besseren oder weiter bergab? Das hängt nicht mehr von den Künsten des Dr. Draghi ab.

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