Grenzen zu ziehen ist noch keine Antwort

In Schottland und Katalonien wird neuer Nationalismus zur Scheinlösung für alle Probleme.
Konrad Kramar

Konrad Kramar

Grenzen zu ziehen ist noch keine Antwort

von Mag. Konrad Kramar

über Katalonien und Schottland

Es fällt schwer, sich der Begeisterung zu entziehen, die in Schottland und der spanischen Region Katalonien weite Teile der Bevölkerung erfasst hat. Ein eigener Staat, die Loslösung von einem traditionell ungeliebten Mutterland, ist auf einmal zum Greifen nahe. In Schottland stimmt man kommende Woche (zum Artikel), in Katalonien aller Erwartung nach im November (mehr dazu lesen Sie hier), über die Unabhängigkeit ab. Da schwenken auf einmal junge Leute Nationalflaggen, stimmen auf der Straße Hymnen an und begeistern sich für eine politische Idee – und die ist natürlich bestechend simpel. Die Grenze, die man um die neue Heimat ziehen will, ist nicht nur eine Möglichkeit, die eigene, vielleicht bisher recht wackelige Identität auf einen Sockel zu stellen, sondern scheinbar auch alle Schwierigkeiten – ob wirtschaftlich oder politisch – dahinter abzulagern. Für all das kann man auf einmal die anderen, jenseits der Grenze verantwortlich machen

Ist es nicht das gierige, und obendrein rechts der Mitte regierte London, das den Ölreichtum der Schotten anzapft, das faule, bürokratische Madrid, das dem arbeitsamen Katalonien die Steuerschrauben anzieht? So leicht funktionieren auf einmal Schuldzuschreibungen. Doch nur solange, bis die tatsächlich zum Ziel führen – und diese Regionen auf einmal als Staat dastehen. Dann gibt es kein London mehr, das für Schottlands krasse soziale Gegensätze verantwortlich gemacht werden kann, für seine oft veraltete, nicht konkurrenzfähige Industrie, kein Madrid, dem man die Schuld für Kataloniens kollabierendes Bankensystem geben kann. Eine Grenze, irgendwoher aus der Geschichte herbeizuzaubern, löst keine Probleme, sie ist oft nur ein billiger Vorwand, um mit Vorurteilen Politik zu machen.

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