Dorf-Tratsch

Anstoß: Gipfeltreffen
Fahrtenbuch: 25.000 Deutsche kamen nach Warschau. Trinkfreudig zwar, aber gar nicht klischeegetreu.
Bernhard Hanisch

Bernhard Hanisch

Uwe, mach’ mal ’n Foto von." Von wem, oder von was eigentlich? Uwe steht auf dem Zamkowy Platz in der Warschauer Altstadt und schaut unschlüssig aus seiner schwarz-rot-gelben Wäsche. Kaum zu übersehen und zu überhören – die Deutschen sind da.

25.000 an der Zahl, gefahren oder geflogen in 27 Charterfliegern. Uwe und Konsorten sind mit dem Zug aus Berlin gekommen. Fünfeinhalb Stunden für 29 Euro. Und so versammeln sie sich in der polnischen Hauptstadt, verbrüdern sich mit freundlichen Gastgebern und mit italienischen Minderheiten, schreien wohltuend selten " Deutschland, Deutschland" und befeuchten die anscheinend zu trockenen Kehlen in Lokalen, von denen sich eines gar "Bierhalle" nennt. Die Altstadt präsentiert sich als großes Dorf. Feststimmung, keine Aggression, das deutsch-polnische Verhältnis offenbart sich so, als wäre es schon immer ein ungetrübtes gewesen.

Auf einem kleinen Marktplatz hat sich ein alter Mann auf den Verkauf von Pelzmützen spezialisiert. Bei 25 Grad nicht unbedingt ein Renner im reichhaltigen Angebot der Souvenirs. "Das macht nichts, der nächste Winter kommt bestimmt", grinst der Alte. Die EM lasse ihn ohnehin relativ kalt.

Keine Schnäppchen zum EURO-Schlussverkauf

Dorf-Tratsch

Ja, die Deutschen sind da. Nicht alle allerdings mit dem Ticket ins Glück in ihrer Tasche. Auf dem vor dem Nationalstadion errichteten Schwarzmarkt wird die Hoffnung auf die letzten Karten für das Halbfinale gegen Italien erhellt. Die Anbieter haben sich gleichmäßig vor den Eingängen verteilt. "Tickets for Sale", steht auf den Kartons.

Klingt verlockend nach Schnäppchen zum EURO-Schlussverkauf. Zahlenspiele vor dem Anpfiff: 250 Euro für einen Platz in der vierten Reihe. 600 Euro muss bezahlen, wer Stadionbesucher der ersten Kategorie werden will.

Nichts deutete sonst darauf hin, dass in ein paar Stunden die Hölle los sein wird. Ruhig plätschert die Weichsel, die hier Wisla heißt, vor sich hin. Das Stadion ragt wie eine riesige Krone aus der Flusslandschaft. Gleich gegenüber, erreichbar in einem nur zehnminütigen Spaziergang, hat sich in das üppige Grün des Dedek-Parks ein kleines Hotel im Stile eines alten polnischen Herrenhauses gekuschelt. Sympathisch heruntergekommen, gar nicht teuer, familiär geführt. Und keine Deutschen?

Mutter kümmert sich liebevoll um die Gäste, streut beim Frühstück Schnittlauch über die Eierspeis, wischt verschütteten Kaffee vom Hemdsärmel. "Mensch, lass uns mal ’n Bier trinken gehen", sagt der Tischnachbar. Na gut, wär ja auch ein Wunder gewesen.

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