Fußball und Krisengipfel: Ein Balance-Akt

Europa von innen: "Österreich könnte mehr bewirken"
Gewissensentscheidung für die EU-Staats- und Regierungschefs: Jede Minute für die Rettung Europas aufwenden – oder dem EM-Match folgen?
Margaretha Kopeinig

Margaretha Kopeinig

Die EU-Staats- und Regierungschefs stehen am Donnerstagabend vor einer Gewissensentscheidung: Jede Minute für die Rettung Europas aufzuwenden – oder dem EM-Match DeutschlandItalien zu folgen. Pflichtprogramm oder Leidenschaft, das ist die Frage. EU-Ratspräsident und Gastgeber des EU-Gipfels, Herman Van Rompuy , erlaubt keinen riesigen Bildschirm im Tagungsbereich. Public Viewing beim Krisengipfel, das wäre zu viel. Sollte Deutschlands Bundeskanzlerin und oberste Fußball-Anhängerin Angela Merkel unbedingt das Spiel sehen wollen, ist aber vorgesorgt. Moderne TV-Geräte stehen bereit. „Es gibt eine begrenzte Möglichkeit“, heißt es in Brüssel. Selbst Mario Monti , den stets cool wirkenden italienischen Premier, lässt das Spiel seiner National-Elf nicht kalt. Am Mittwoch telefonierte Bundeskanzler Werner Faymann mit Monti, um die Gipfel-Dramaturgie zu besprechen. Der Kanzler wünschte Monti alles Gute für die italienische Mannschaft. Das wirft eine Frage auf: Steht Faymann auf der Seite der Italiener? Merkel würde das nicht sehr goutieren. Dazu Faymann ganz fair: „Die Besseren gewinnen.“

Die Regierungsspitze legt in der EU-Politik Tempo zu und versucht im Gleichschritt zu gehen. Kanzler und Vizekanzler Michael Spindelegger fliegen Donnerstagfrüh nach Brüssel. Beide sind bei den Treffen ihrer jeweiligen Parteienfamilie. Spindelegger wird mit Merkel, Kommissionspräsident José Manuel Barroso , Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker , Van Rompuy und Spaniens Premier Mariano Rajoy zusammenkommen. Der Bundeskanzler spricht sich mit seinem belgischen Amtskollegen Elio Di Rupo , mit Parlamentspräsident Martin Schulz und der dänischen Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt ab.

Die Europa-Aktivitäten – nicht nur Politiker-Termine, sondern auch Diskussionen mit den Bürgern – analysiert Meinungsforscher und OGM-Chef Wolfgang Bachmayer : „Das Europa-Enga- gement wird bemerkt. Faymann und Spindelegger punkten damit in jenen Bevölkerungsgruppen, die sich für Europa interessieren. Bei diesen Menschen wirkt das positiv.“ Sie seien aber nicht die Mehrheit der Wähler, räumt Bachmayer ein. Und wie sieht es die Mehrheit der Bürger? „Unter ihnen hat sich in der Krise eine stärkere EU-Skepsis aufgebaut. Es herrscht das Gefühl vor, die Politiker packen die Ursachen der Krise nicht an und sagen auch nicht die Wahrheit. Die Chefs der Grünen im Europa-Parlament, Rebecca Harms und Daniel Cohn-Bendit, fordern Van Rompuy auf, Druck auf Mitgliedsländer auszuüben, die mit ihren Gesetzen Beihilfe zu Steuerflucht und Steuerhinterziehung in der EU leisten. Drei Länder werden namentlich genannt: Österreich, Luxemburg und Zypern.

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