Wie das Kaninchen vor der Schlange - oder Europas Angst vor Trump
Ingrid Steiner-Gashi
16.01.24, 18:00Zumindest etwas Positives kann man dem angelaufenen Präsidentschaftswahlkampf in den USA abgewinnen: Auch wir im fernen Europa werden wissen, was nach dem 5. November auf uns zukommt. Donald Trump oder Joe Biden – sowohl den ehemaligen als auch den jetzigen Präsidenten der USA kennt man schon; denn dass die beiden alten Männer gegeneinander antreten werden, steht schon so gut wie fest. So absurd das alles anmuten mag – ein Zweikampf zwischen dem greisenhaften, tattrig wirkenden 81-jährigen Biden gegen einen irrlichternden, aggressiven, „alternative Fakten“ verherrlichenden Trump – die ab jetzt laufenden Vorwahlen werden die aktuelle politische Gerontokratie in den USA nur noch untermauern.
Warum, so drängt sich die Frage auf, warum ist dieses Riesenland mit seinen 332 Millionen Einwohnern, diese größte Volkswirtschaft der Welt mit seinen hervorragenden Erfindern, Kreativen, Wissenschaftern; diese jahrhundertelang geübte Demokratie nicht in der Lage, jüngere, mitreißendere, weniger populistische Anwärter für einen der wichtigsten Jobs dieser Welt hervorzubringen?
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Dafür gibt es unzählige Erklärungsversuche. Sinnvoller aber, als Antworten auf Tatsachen zu suchen, die sich nicht ändern lassen, wäre es, sich vorzubereiten. Sich nicht überraschen zu lassen, wenn der von Europa aus mit Bangen und einem leichten Schauer des Gruselns gesehene Donald Trump tatsächlich erneut zum Präsidenten der USA gekürt werden sollte.
Vier Prozesse
Denn leicht zu stoppen ist der Mann nicht. Derzeit liegt er in allen bundesweiten Umfragen vor Biden, auch in den wahlentscheidenden Swing-States. Und selbst falls der in vier Prozesse (mit insgesamt 91 Anklagepunkten) involvierte Trump verurteilt würde, dürfte die überwiegende Mehrheit seiner Wähler weiter wie eine Wand hinter ihm stehen.
Besser also sich wappnen, als wie ein Kaninchen vor der Schlange zu zittern. Er ist ja schon „in action“ – denn auch wenn Trump noch nicht regiert, so diktiert er schon jetzt teilweise die Politik, treibt seine Republikaner vor sich her, bestimmt den rauen Ton.
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Zu spüren bekommt das bereits jetzt die Ukraine: Die Republikaner an Trumps langer Leine im Senat verweigern Kiew die nötige Milliardenhilfe, um sich weiter gegen Russland verteidigen zu können. Europa, besonders Deutschland, würde sich bei einem Trump-Sieg auch warm anziehen müssen.
Da stünden gleich die nächsten Strafzölle und Importhürden ins Haus – alles mit dem Ziel, „Amerika wieder groß“ zu machen – und die da draußen klein zu halten. Ob Verteidigung, Wirtschaft, Klimaschutz – in allen Bereichen sollte die EU schon jetzt ihre Kräfte bündeln, wenn ihr wichtigster Verbündeter ab 2024 vielleicht als gar nicht mehr so guter Freund daher kommt.
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