Hüftschüsse

Hüftschüsse
Gelebter Parlamentarismus? Sehr gut! Aber der jetzige Goodie-Furor ist eher problematisch.
Martina Salomon

Martina Salomon

Können Experten oder korrekter, hohe Ministerialbeamte, eine Regierung ersetzen? Klingt verlockend, stimmt nur leider nicht. Übergangskanzlerin Brigitte Bierlein hat das mit ihren ersten öffentlichen Auftritten unfreiwillig bewiesen. Sie ist eine untadelige, sympathische Verfassungsrichterin und wird das Regierungsvakuum mit Anstand und ein wenig Grandezza füllen. Aber Politik bedeutet gestalten, Verantwortung für Entscheidungen tragen und nicht nur verwalten. Egal? Die Gestaltungsaufgabe haben ohnehin die 183 Nationalratsabgeordneten übernommen – gut, oder?

Prinzipiell ist lebendiger Parlamentarismus ein erstrebenswertes Ziel. Und sicher haben die Koalitionen der vergangenen Jahrzehnte, speziell die türkis-blaue, den Parlamentariern zu wenig Spielraum gelassen. Aber das, was jetzt geschieht, ist zu Populismus- und Peter-Pilz-getrieben. Dass mit einem Entschließungsantrag so nebenbei das interreligiöse Zentrum in Wien abgeschafft wird, mag eine Mehrheit beklatschen, weil zu den Finanziers das saudische Königreich mit seinem skandalösen Umgang mit Menschenrechten zählt. Aber das läuft diplomatischen Usancen und völkerrechtlichen Verträgen zuwider. Interessanterweise haben es sogar jüdische Vertreter bedauert, dass man den Dialog abwürgt. Außerdem wurden Spanien und der Vatikan vor den Kopf gestoßen, die Partner beim Zentrum sind.

Populismus

Auch das geplante Verbot des Unkrautbekämpfungsmittels Glyphosat ist ein populistischer Hüftschuss. Für die Anwendung gibt es EU-Regeln, nur noch bis 2022 ist es erlaubt. Der Verbrauch in Österreich sank ohnehin bereits stark. Ob man das Herbizid im österreichischen Alleingang verbieten kann, ist fraglich.

Die Industrie wird viel Geld mit einem Glyphosat-Ersatz verdienen, bei dem die Gewinnspannen höher, die wissenschaftliche Evidenz aber kleiner ist. Die EU-Lebensmittelsicherheitsbehörde sieht im Gegensatz zur WHO keine Gefahr durch Glyphosat (und musste sich dafür rechtfertigen). Auch die seriöse österreichische Lebensmittelagentur AGES bezeichnet das Mittel bei sachgemäßer Anwendung für den Menschen als „weitgehend unbedenklich“.

Der „lebendige Parlamentarismus“ darf sich nicht in einem Furor beim Verteilen von „Goodies“ erschöpfen. Dieser Vorwurf richtet sich auch an die abgesetzte Koalition. Sie hat eine Erhöhung der Mindestpensionen beschlossen. Einer größeren Reform, um die Pensionen wirklich zu sichern, ist diese Regierung aber wie Rot-Schwarz aus dem Weg gegangen.

Und, ja, auch die Valorisierung des Pflegegeldes ist für die Betroffenen wichtig und gut. Aber es fehlt eine echte Pflegereform, die viel Geld kosten wird. Auch das noch immer funktionierende Gesundheitssystem implodiert gerade und Mediziner wie Patienten haben längst die Flucht in die Privatmedizin angetreten.

Die nächste Regierung wird das Geld für die auf Pump verteilten Geschenke auftreiben, einiges reparieren und tief greifende Reformen angehen müssen. martina.salomon

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