Grüner Etikettenschwindel
Robert Kleedorfer
03.01.22, 18:00Die Nacht-und-Nebel-Entscheidung der EU, Erdgas und Atomkraft als nachhaltige Energieformen einzustufen, sorgt nicht nur unter Umweltschützern für Entsetzen. Auch in der Finanzbranche ist man darob zumindest irritiert.
Schließlich dient die sogenannte Taxonomie, also die Liste jener Technologien, die die EU als grün einstuft, als wichtiges Instrument für Investoren. Sie werden zunehmend von ihren Kunden, aber auch seitens der Politik und der Regulatoren, dazu angehalten, Kredite entsprechend zu vergeben beziehungsweise das Vermögen nachhaltig zu veranlagen. Die dabei erzielten Erträge können bis dato durchaus mit jenen konventioneller Zugänge mithalten.
Schon jetzt sind die Grenzen, was ein grünes Investment ist und was eher nicht, unklar. Das führt dazu, dass etwa ausgewählte Ölkonzerne für manche Nachhaltigkeitsfonds durchaus tragbar sind. Für andere sind sie hingegen per se ausgeschlossen. Die Taxonomie sollte eigentlich dabei helfen, Klarheit zu schaffen.
Diese Chance wurde nun verpasst. Wenn sogar neue Atommeiler bis zum Jahr 2045 eine Baugenehmigung erhalten dürfen, wird es argumentativ schwierig, die Finanzierung weitaus gelinderer Umweltsünder und ihrer Projekte zu untersagen. Und wird diese Liste auf solche Art und Weise verwässert, wird Missbrauch in Form von Greenwashing Tür und Tor geöffnet.
Die große Mehrheit der EU-Länder hat sich auf diese Liste geeinigt, um die Energiewende möglichst friktionsfrei zu vollziehen. Doch der Streit geht jetzt erst so richtig los.
Die Wurzeln des Übels liegen aber anderswo. Frankreich setzt viel zu sehr auf Atomkraft, während Deutschland ohne Not (unter Ex-Kanzlerin Merkel nach dem Unfall von Fukushima) diesen Kraftwerken den Stecker gezogen hat. Die Alternativen dafür fehlen im Land. Wie in Österreich wird Atomstrom importiert. Auch noch mehr russisches Gas soll durch die Pipeline Nord Stream 2 bei der Kompensation helfen.
Und der Energiebedarf wird noch zulegen. Wieso also nicht zeitgemäße bestehende Meiler und Projekte weiter betreiben, aber keine Neubauten mehr zulassen, sondern den Fokus auf erneuerbare Energien legen?
Wobei dabei den Befürwortern klar sein muss, dass auch hier nicht alles eitel Wonne ist. Windkraft stört viele Anrainer und ist auch für Vögel ein Problem; die Wasserkraft ist – speziell in Österreich – schon großteils ausgebaut. Neue Projekte stoßen stets auf Widerstand. Und für Solaranlagen ist in weiten Teilen Europas oft das Wetter ein Hemmnis.
Auf den richtigen Mix kommt es also an. Daher wird es bis auf Weiteres auch Atomkraft und Gas als Energieträger brauchen. Nur eben nicht auf einer grünen Liste. Denn das ist reiner Etikettenschwindel.
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