Perspektivenverfehlung einer bürgerlichen Partei

Perspektivenverfehlung einer bürgerlichen Partei
Das EU-Renaturierungsgesetz und den Klimaplan nicht zu unterstützen, ist unfassbar. Ein Gastkommentar von Klaus Atzwanger.

Ich habe mich lange für Kompromisse im Rahmen der Koalition ausgesprochen, denn regieren heißt Kompromisse zwischen unterschiedlichen Positionen erzielen, um möglichst viel für das Land und die Menschen weiterzubringen. Wenn der konservative Koalitionspartner jedoch rote Linien überschreitet, ist es manchmal aber auch nötig, die Koalition infrage zu stellen. Neben der Klimakatastrophe und dem Artensterben sollte doch inzwischen jedem klar sein, dass die Bodenversiegelung sowie die Zerstörung der natürlichen Lebensräume die größten Herausforderungen der Zeit sind. Nicht nur die Klimaentwicklung und die Artenvielfalt, auch eine funktionierende Landwirtschaft wird mittelfristig davon abhängen, dass es ausreichend Naturräume gibt, in denen Arten Rückzugsräume finden. Und auch der Erholungswert für uns Menschen in intakten Naturräumen ist völlig unstrittig.

Wenn sich die EU nun nach langen Diskussionen auf ein abgespecktes EU-Renaturierungsgesetz geeinigt hat, welches fördern soll, dass in Europa Bioreservate entstehen, in welchen durch Renaturierungsmaßnahmen Lebensräume zurückgewonnen werden, und die dringend nötige Artenvielfalt zumindest zu einem gewissen Maß gerettet werden kann, ist dies ein Hoffnungsschimmer. Doch die ÖVP blockiert dieses Vorhaben mit äußerst fadenscheinigen Argumenten, was für die Mehrheitsbildung im EU-Parlament zu entscheidenden Konsequenzen führen könnte.

Perspektivenverfehlung einer bürgerlichen Partei

Klaus Atzwanger

Ebenso verhält es sich mit dem Klimaplan, ein EU-Gesetz, welches sicherstellen soll, dass die in der EU gesetzten, moderaten Klimaziele pro Land erreicht werden. Auch hier hat die ÖVP den grünen Vorschlag abgelehnt, bzw. den eingereichten österreichischen Beitrag beeinsprucht.

Aber was will die ÖVP? Wie kann es sein, dass eine Partei, die sich als christlich versteht, bei solchen klaren Zukunftsthemen so fehlentscheiden kann? Ist es ein Schielen auf den rechtspopulistischen Kurs der FPÖ, der zu dieser Perspektivenverfehlung in der Parteispitze führt? Ist ihr nicht klar, dass man weiter die Stimmen der Jungen verspielt? Denn Umweltthemen sind in dieser Zielgruppe verständlicherweise präsenter als die meisten glauben. Glaubt in der ÖVP jemand daran, dass es heute noch möglich ist, den Wählerinnen und Wählern zu erzählen, verantwortungsvoll eine Zukunft gestalten zu können, ohne dem Klima- und Biodiversitätsthema jene Bedeutung zu geben, die es aufgrund der globalen Entwicklungen hat?

Aus Sicht der Wissenschaft und des besorgten Bürgers ist klar, dass die Umweltfrage im weitesten Sinn für das Leben und Überleben unserer Kinder entscheidend sein wird. Es macht mich sprachlos, wie eine bürgerliche Partei, die sich Werte wie „Familie“ prominent in ihr Programm schreibt, nicht erkennt, dass es ohne klare Haltung zu entscheidenden Umweltgesetzen, wie beispielhaft dem Klimaplan und dem Renaturierungsgesetz, in der Frage des Lebens zukünftiger Familien sehr düster aussehen wird.

Klaus Atzwanger ist Verhaltenswissenschaftler an der Universität Wien und Unternehmensberater.

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