EU-Wahl: Das diffuse Veränderungsversprechen der Rechten

Die PVV des Rechtsaußen Geert Wilders kämpfte bei der EU-Wahl in den Niederlanden um Platz 1
Die Europawahl und die populistische Illusion der Teilhabe. Ein Gastkommentar von Paul Sailer-Wlasits.

Wahlen sind kein Neubeginn an sich, sondern stets nur die Möglichkeit für einen solchen. Das macht sie seit jeher so wertvoll. Schon seit dem epochalen demokratischen Aufbruch im antiken Griechenland vor 2.500 Jahren. Doch nach diesem folgten viele Jahrhunderte gewaltvoller Diktaturen. Von römischen Imperien über absolute Monarchien bis zu totalitären Regimes des 20. Jahrhunderts.

Heute, nachdem die Idee Europa endlich Gestalt angenommen hat, stößt deren integrative Kraft bereits wieder an ihre Grenzen. Große politische Siege werden derzeit in der EU nicht errungen. Und in das wachsende politische Vakuum dringen europaweit Populisten und politische Extremisten ein.

EU-Wahl: Das diffuse Veränderungsversprechen der Rechten

Paul Sailer-Wlasits

Nicht nur die Geschichte, auch die politische Gegenwart Europas ist voll von negativ-charismatischen Leitfiguren und demagogischen Führern. Letztere verpacken ihre Vorstellungen häufig in superlativische Rhetorik und eine ins Monumentale gesteigerte Sprache. Damit verkaufen sie – sprachlich gewaltvoll – eine „Illusion der direkten Teilhabe“ an das Wahlvolk. Teilhabe als unmittelbares, diffuses, jedoch niemals eingelöstes Veränderungsversprechen.

Die Europäische Union hatte bisher in erster Linie Glück, dass die rechten und rechtsextremen Parteien noch immer keine stabile, schlagkräftige Fraktion im EU-Parlament zustande gebracht haben. Die Kohäsionsrate, d.h. das langfristige gemeinsame inhaltliche Abstimmungsverhalten der Rechten im Europaparlament, befindet sich nach wie vor auf dem Niveau streitender Halbwüchsiger auf einem Schulhof.

Die Risse im rechten Politspektrum des Europaparlaments, mit ihren nationalen Partikularinteressen und kaum überwindbaren wechselseitigen Animositäten, sind mit freiem Auge sichtbar: Einige Parteien vertreten klare westlich bzw. US-orientierte außenpolitische Positionen, andere, wie die AfD, fahren einen prorussischen Kurs. Das von der AfD ins Spiel gebrachte Thema der „Remigration“, ist sogar für den rechtspopulistisch-nationalen französischen Rassemblement National zu rechtsextrem und überdies innenpolitisch zu unbequem.

Und je mehr Marine Le Pen und Georgia Meloni mit einer gemeinsamen Fraktion aller Rechten Europas liebäugeln, umso schwieriger wird es für die EVP samt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, weiter so zu tun, als wären in Italien keine postfaschistischen Kräfte an der Macht, die sich auf EU-Ebene nur gemäßigt geben, um alle Optionen offenzuhalten. Auch der Rechtspopulismus der „Wahren Finnen“ ist ein anderer als jener der ungarischen Jobbik; und dieser ist wiederum verschieden von der Gedankenwelt einer polnischen PiS, FPÖ oder der spanischen Rechten.

Eines Tages könnte das populistische Wunschdenken hinsichtlich einer stabilen rechten EU-Fraktion jedoch Realität werden. Etwa unter der Führung eines zurzeit noch nicht sichtbaren „europäischen Trump“, der die Illusion der Teilhabe fehlerlos repräsentierte. In einer komplexen, durch multiple Krisen belastenden Lebenswirklichkeit sollte Derartiges nicht bagatellisiert werden, sondern alarmieren.

Paul Sailer-Wlasits ist Sprachphilosoph und Politikwissenschafter in Wien.

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