Die Arroganz des Jeffrey Sachs

Die Arroganz des Jeffrey Sachs
Replik auf das KURIER-Interview vom 4. September

In seinem Gespräch mit Konrad Kramar folgt Jeffrey Sachs der beliebten Legende der Putin-„Versteher“: Aus einer informellen, nie schriftlich fixierten Zusage des damaligen deutschen Außenministers an Michail Gorbatschow, den Präsidenten der damals noch existierenden Sowjetunion, die NATO werde sich nach der deutschen Einigung nicht nach „Osten“ erweitern, wird ein russisches Opfernarrativ abgeleitet.

Ganz abgesehen von dem erstaunlichen Politikverständnis, das einem deutschen Außenminister die Kompetenz zuschreibt, über die Zukunft anderer Staaten zu bestimmen – ein Verständnis, das an den Vertrag vom August 1939 erinnert, in dem NS-Deutschland und die UdSSR über die Zukunft Osteuropas verfügten: Die UdSSR gibt es nicht mehr, weil Anfang Dezember 1991 die Präsidenten Russlands, der Ukraine und Weißrusslands in Minsk sich auf die Auflösung der Sowjetunion geeinigt hatten. Es war Russlands Präsident Boris Jelzin, der das Ende der UdSSR herbeiführte. Und es war eine Vereinbarung der drei großen europäischen Sowjetrepubliken, die Gorbatschows letztem Versuch, die UdSSR zu retten, den Todesstoß versetzte. Das alles wird durch eine pro-russische Wehleidigkeit zugedeckt.

Verschleiert wird: Die UdSSR wurde von Russland zerstört, und in der entscheidenden Weichenstellung 1991 war für Russlands Präsident die Souveränität der Ukraine außer Streit gestellt. Es ist eine Vernebelung, wenn die Russische Föderation mit der Sowjetunion gleichgesetzt wird.

Sachs empfiehlt der Ukraine, von Österreich zu lernen. Österreich habe klug gehandelt, als es seine Neutralitätserklärung als Kaufpreis für den Abzug der „Russen“ eingesetzt hätte. Ganz abgesehen, dass nicht die „Russen“ abzogen, sondern die Rote Armee, unter deren Truppen zehntausende Ukrainer und andere Nicht-Russen waren – es zogen sich 1955 auch die USA, das Vereinigte Königreich und Frankreich militärisch von Österreich zurück. Allein aus diesem Grund war Österreich 1955 in einer völlig anderen Lage als die Ukraine 2022.

Dass Finnland und Schweden die Funktionalität der NATO angesichts des Überfalls auf die Ukraine anders sehen als Jeffrey Sachs, das müsste doch allen zu denken geben, die Weltpolitik nicht wie Ribbentrop und Molotow bloß als Interessenabtausch zwischen den Großen sehen. Doch Sachs richtet der Ukraine aus, was sie zu tun hat, um den Krieg zu beenden.

Dass die einfachste Formel für das Ende des Krieges der Abzug aller russischer Truppen aus dem Territorium der Ukraine ist, will Sachs nicht sehen. Jeffrey Sachs ist die Stimme der Arroganz. Die USA sollen sich mit Russland über die Verteilung der Einflusssphären in Europa einigen.

Was die Ukraine dazu sagt, scheint Sachs nicht zu interessieren.

Anton Pelinka ist österreichischer Politologe.

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