Die Stärke des Feindes
Wolfgang Unterhuber
28.09.22, 17:52Die Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee mutet wie eine Szene aus einem James Bond-Film an. Doch sie ist bittere Realität. Eine Wirklichkeit, vor der übrigens schon längere Zeit gewarnt wurde. Faktum ist: Es gibt Mächte, die in der Lage sind, Anschläge auf das Rückgrat unserer Energieversorgung in Europa zu verüben.
Offiziell ist nicht klar, wer dahintersteckt, und das wird wohl auch so bleiben. Klar ist aber, wem die Attacke am meisten nützt: Wladimir Putin. Dabei geht es nicht so sehr um die Rohrleitungen selbst, durch die ohnehin kein Gas mehr geliefert wurde. Als gelernter Geheimdienstmann weiß Putin, dass allein schon die Nachricht der Zerstörung Angst verursacht.
Sie führt den Menschen in Europa nämlich drastisch vor Augen, wie verwundbar unsere Infrastruktur ist. Denn unwillkürlich stellen sich mehrere Fragen: Was passiert beim nächsten Mal? Was, wenn es die Pipeline trifft, die Österreich mit Gas versorgt? Oder wenn gezielte Cyberangriffe auf die Strom- oder Wasserversorgungsnetze in Europa stattfinden?
Einmal mehr zeigt die aktuelle Attacke auch, dass dieser Krieg auf vielen Schauplätzen stattfindet. Experten sprechen dabei von einem sogenannten hybriden Krieg. Dabei setzen die Kriegsparteien auf eine Kombination aus klassischen Militäreinsätzen, Cyberangriffen, wirtschaftlichen Sanktionen bis hin zu Propaganda in den Medien und sozialen Netzwerken. Was aber nunmehr endgültig ins Bewusstsein dringt, ist die Tatsache, dass wir in unserem Alltag in Europa tiefer in diesen Krieg involviert sind als uns bisher lieb oder bewusst war.
Der Wirtschaftskrieg hat uns aufgrund der Sanktionen in Form der massiven Energiekrise und Teuerungswelle längst erfasst. Und man muss kein Prophet und Experte sein, um zu erkennen, dass es noch schlimmer kommen wird. Putin wird an den verbleibenden Gasleitungen Richtung Westen je nach psychischer Tagesverfassung mit Sicherheit herumhantieren. Dazu wird die eine oder andere Cyberattacke kommen.
Freilich: Der Feind ist nur so stark, wie man selbst es zulässt. War Europa also auf all das vorbereitet? In der Sanktionsstrategie sicher nicht. Man hat die Folgewirkungen der von EU-Chefin Ursula von der Leyen vollmundig verkündeten Sanktionen völlig verkannt – und weitere Sanktionen sollen ja folgen. Wir werden also sicher für die Ukraine frieren. Fragt sich nur, bei welchen Temperaturen und ob am Arbeitsplatz oder beim AMS.
Das ist am Ende auch der Punkt. Die Unbedarftheit und Naivität der eigenen Eliten von Brüssel bis in die nationalen Staatskanzleien bereiten eigentlich fast schon mehr Sorgen als der Feind. Der hat nämlich durchaus seine Schwächen, wie die zuletzt erfolgreiche Gegenoffensive der Ukraine zeigt.
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