Die "Next Generation EU" zahlt

Man darf gespannt sein, ob Frankreich, Spanien und Italien jetzt tatsächlich ihre Strukturreformen durchziehen.
Wolfgang Unterhuber

Wolfgang Unterhuber

Für die Spekulanten an der Wall Street und das Politbüro in Peking war gestern sicher kein guter Tag. Die Einigung auf das EU-Budget und den sogenannten Aufbaufonds ist für sie eine Niederlage. Italien, Frankreich und Spanien werden ihren Staatsbesitz jetzt (noch) nicht an China oder an amerikanische „Heuschrecken“ verscherbeln müssen, um ihre strukturellen Defizite weiterhin finanzieren zu können. Unter diesem strategischen Aspekt war der Gipfel sicherlich ein Erfolg.

Und sonst? Da kann man von einem historischen Paradigmenwechsel sprechen. Erstmals nimmt die EU gemeinsam Schulden in der Höhe von 750 Milliarden Euro auf. Im grotesken EU-Marketing-Sprech wird das „Next Generation EU“ genannt. 390 Milliarden von den 750 gibt es sogar als Geschenk. Das entspricht ziemlich genau dem jährlichen Bruttoinlandsprodukt Österreichs. Vor allem Frankreich, Spanien und Italien werden davon profitieren.

Entscheidend für die Zukunft der Union wird sein, ob die 750 Milliarden dort ankommen, wo sie eine positive Wirkung auslösen. Bei den Autozulieferbetrieben in Norditalien etwa, die die deutsche Autoproduktion am Leben halten. Oder doch bei der Mafia in Sizilien? Die Italiener, speziell im Norden, kennen ja die Strukturprobleme ihres Landes ziemlich gut. Deshalb wurde einst ja auch die Separatistenpartei „Lega Nord“ gegründet. Jetzt wird jedenfalls die EU-Kommission die Verteilung der Milliarden überprüfen. Das geht – ebenfalls ein Novum – in Richtung zentralistischer Fiskalkompetenz der EU. Ein Schritt, der mit Großbritannien undenkbar gewesen wäre.

Mit „Next Generation EU“ ist den EU-PR-Profis übrigens auch ein (unbeabsichtigtes?) Bonmot gelungen. Denn die Tilgung der Schulden wird das EU-Budget und somit die nächsten Steuerzahler-Generationen bis 2058 belasten.

Und: Für die Rückzahlung braucht die EU dringend neue Finanzierungsquellen. Das bedeutet neue Steuern. Für die Nettozahler, besonders für Deutschland, das im Unterschied zu den „sparsamen“ Vier keine Erhöhung seines Rabattes durchgesetzt hat, wird die EU-Mitgliedschaft teurer. Das ist Wasser auf den Mühlen der linken und rechten EU-Gegner im wirtschaftlichen Kernmarkt der Union.

Was auch gesagt werden muss: Eine Stabilisierung der Konjunktur geht von dem Programm nicht aus. Die Auszahlungen kommen dafür zu spät. Das Programm wird vermutlich und hoffentlich prozyklisch wirken, weil es erst ab dem kommenden Jahr zum Tragen kommt. Fazit: Die Union hat Zeit gewonnen. Mehr nicht.

Ob Frankreich, Italien und Spanien tatsächlich Strukturreformen durchführen, darf mit Spannung erwartet werden. Wenn nicht, gibt es keine „Next Generation EU“ mehr.

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