Der Erfolg, der im Schatten entsteht

Es gibt 11.000 Gründe, warum die Olympischen Spiele trotz Covid stattfinden mussten. Weil rund 11.000 Athletinnen und Athleten die Chance bekommen, aus dem Schatten zu treten, um, für einen Moment zumindest, das Licht der Aufmerksamkeit zu genießen. So wie Anna Kiesenhofer, Michaela Polleres, Shamil Borchashvili, Magdalena Lobnig, Lukas Weißhaidinger. Hand aufs Herz: Wer von uns hatte diese Namen vor Olympia auf dem Radar?
So zeigt sich einmal mehr, welche großen Leistungen im Schatten der öffentlichen Wahrnehmung vollbracht werden. Es braucht 10.000 Stunden Training, um überhaupt gut zu sein, erzählt Skisprung-Olympiasieger (1980 Lake Placid) Toni Innauer bei seinen Vorträgen.
10.000 Stunden! Das wären bei acht Stunden Training täglich ohne Wochenenden, Feiertage und Urlaub etwa dreieinhalb Jahre in einem Stück. Ab da erst kann man richtig mitspielen. Und neben der körperlichen braucht es zudem eine enorme mentale Stärke. Im Sport muss man psychisch ständig Niederlagen verkraften. Für die Masse der Zuseher ist ja schon der zweite Platz eine Niederlage.
In dem Punkt hat der Schatten einen Vorteil. Wer im Licht steht, muss die Erwartungen des Publikums und der Sponsoren erfüllen. Der Schatten hingegen ist eine Schutzzone, in der Neues und Großes still, leise und unbeobachtet heranwachsen kann.

In der Wirtschaft gibt es das auch. Unternehmen, die sich auf eine ganz schmale geschäftliche Nische konzentrieren und in dieser den Weltmarkt aufrollen. Solche Unternehmen nennt man Hidden Champions. Hidden hat übersetzt die Bedeutung von versteckt, verborgen, still. Österreich hat ungefähr 170 Hidden Champions. Gemessen an der Einwohnerzahl liegt unser Land hier weltweit im Spitzenfeld. Detail am Rande: Unternehmensgründer berichten, dass es von der Idee bis zu den ersten Erfolgen – erraten – rund 10.000 Stunden dauert.
Es lohnt sich also, den Schatten zu beobachten. In ihm können neue Trends und Entwicklungen entstehen. Manchmal auch aus der Not heraus. Weil es in Afrika außerhalb der Städte keine Bankfilialen gibt, ist bargeldloses Zahlen nur via Handy und ohne Bankkonto in Kenia schon seit 2007 für alle Menschen dort normal. Kenia zählt laut Weltbank überhaupt zu den Top 10 der Reformländer im Bereich „Starting a Business“. Neben vier anderen afrikanischen Staaten.
Für viele Europäer freilich ist Afrika lediglich eine düstere Region, aus der nur Flüchtlinge kommen. Derlei überhebliche und ignorante Sicht ist gefährlich. Befragt nach der Ursache für die Niederlage der Favoritinnen im Rennen gegen Anna Kiesenhofer, antwortete die Schweizerin Marlen Reusser: „Wir haben sie vergessen.“
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