Heftige Debatte um Waldschule
Niemand lässt sich sagen, sein Kind bewusst in eine wissenschaftlich fragwürdige Einrichtung zu schicken.
Die Vorwürfe gegen das Internat der Waldschule Wiener Neustadt – Misshandlung von Kindern, mangelnde Betreuung und willfährige Überdosierung von Medikamenten – löste auf kurier.at eine hitzige Debatte aus. Eltern, die die Schule für schwerstbehinderte Kinder als großartige Einrichtung hochloben und ehemalige Heimzöglinge, die die sofortige Schließung fordern.
Zur Vorgeschichte: Ein ehemaliger Diplompfleger, der im Vorjahr gekündigt hat, erhob die schweren Vorwürfe im KURIER. Er spricht vor allem die Verhältnisse in dem der Schule angeschlossenen Internat an, nicht in der Schule selbst.
Eltern loben Schule
So schreibt Leser Hans L.: „Unser Sohn geht seit drei Jahren in die Waldschule von 8 bis 12 Uhr.“ 250 Kilometer fahre seine Frau täglich, um den Sohn zur Schule zu bringen und mittags wieder abzuholen. „Das würden wir nicht in Kauf nehmen, wenn wir nicht überzeugt wären, dass es eine gute Schule ist.“ Leserin Susi S. wiederum kritisiert den Innsbrucker Erziehungswissenschafter Volker Schönwiese, der im KURIER die Schließung der Waldschule forderte. Susi L. unterrichtet offenbar selbst in der Waldschule und erklärt: „Unsere Kinder sind nicht ‚isoliert‘ und es fehlt auch nicht an ‚Normalität des Lebens‘: Durch Ausflüge, Lehrausgänge, Kino, Theater, Kaffeehäuser, Geschäfte, Spielplätze, Wandertage, Partnerschulen, öffentliche Einrichtungen, Schikurse, Projektwochen, Feierlichkeiten sowohl in als auch außerhalb der Schule, ….. werden Kontaktfähigkeit, Toleranz und sozial angemessene Begegnungsformen gefördert.“ Es werde eine einfühlsame Betreuung geboten, die in herkömmlichen Schulen kaum möglich sei. Auch Hans L. kritisiert Schönwiese. Er rät ihm gar, „seine Weisheiten in Tirol zu lassen“ und nicht „im schönen Niederösterreich politisch mitzumischen“.
Kaffee statt Betreuung?
Die Wogen gehen hoch. Die Vorwürfe des Diplompflegers, der zwei Jahre lang im Internat der Schule beschäftigt war, betreffen nicht den Schulbetrieb an und für sich, sondern die von ihm bekrittelten und von den Verantwortlichen abgestrittenen Zustände im Heim. Der Ex-Pfleger spricht von willkürlicher Über-Medikamentation durch seine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen. Freizeitgestaltung gebe es im Internat so gut wie nicht. Die Mitarbeiter würden die Kinder am Nachmittag meist sich selbst überlassen und im Aufenthaltsraum Kaffee trinken. Auch dies wird von der Direktion bestritten. Ein ehemaliger Zivildiener, der acht Monate im Internat der Waldschule gearbeitet hat, bestätigt dies jedoch im KURIER-Gespräch.
"Mediengeil"
Der ehemalige Pfleger wird in Leserbriefen als „frustriert“ oder „mediengeil“ diffamiert. Ersteres kann ich bestätigen. Der zweite Punkt ist schlicht falsch. Der Pfleger hat nach eigenen Angaben versucht, das angeblich vorherrschende System der Nicht-Betreuung zu ändern. „Wenn ich Kinder gewaschen habe, wurde ich von anderen Kollegen zurechtgewiesen, dass ich das nicht tun darf. Das sei nicht Sache der Diplomierten. Sonst würde das von ihnen auch verlangt.“ Diplompfleger würden im Internat nur zur Ausgabe der Medikamente eingesetzt. „Und falls es einen medizinischen Notfall gibt“, berichtet der ehemalige Mitarbeiter. Kaum jemand nehme sich der Kinder an. Werde eines „zu anstrengend“, würde sofort nach der „medizinischen Keule“ gerufen, um es ruhigzustellen. Wie gesagt, die Verantwortlichen weisen all diese Anschuldigungen zurück. Der Direktor des Internats mutmaßt sogar, sein ehemaliger Mitarbeiter sei „psychisch krank“. Fakt ist: Der Ex-Pfleger ist seit er im Jahr 2013 gekündigt hat, in psychologischer Betreuung.
Menschenrechtswidrig
Selbst der Wissenschafter Schönwiese spricht dem Personal der Schule die fachliche Kompetenz und das soziale Engagement nicht ab. Nur hält er die weit abgelegene Waldschule samt Internat für nicht mehr zeitgemäß. Er verlangt, dass Eltern nicht mehr 250 km fahren müssen, um ihr Kind gewissenhaft betreut und geborgen zu wissen. Geschlossene Einrichtungen wie die Waldschule seien vielmehr menschenrechtswidrig, sagt Schönwiese, der selbst seit seiner Kindheit auf den Rollstuhl angewiesen ist.
Bei weiteren Leser-Reaktionen ist klar zu erkennen, dass es nicht nur eine Wahrheit gibt. Einige ehemalige Schülerinnen und Internatszöglinge der Waldschule haben sich mittlerweile beim KURIER gemeldet oder auf kurier.at gepostet. Ihre Erinnerungen reichen von „fühlte mich sehr gut aufgehoben“ über bis hin zu: „Ich war selbst in meiner Pflichtschulzeit acht Jahre lang in dieser ,Anstalt‘ und hab dort Schauderhaftes, zum Teil auch am eigenen Leib, erleben müssen und ein Trauma davon abgefangen.“
Eltern, deren Kinder derzeit in der Einrichtung zur Schule gehen, verteidigen sie vehement. Verständlich, niemand lässt sich sagen, sein Kind bewusst in eine wissenschaftlich fragwürdige Einrichtung zu schicken. Die Schule als solche war von Philipp S., dem ehemaligen Pfleger, übrigens nie kritisiert worden. Er lobt die Kollegen und die Arbeitsweise im Schulbereich ausdrücklich. Das Internat selbst, auf das sich seine Kritik bezogen hat, wird in den meisten Leser-Zuschriften nicht erwähnt.
Überprüfung
Jetzt ist einmal das Land Niederösterreich am Zug, das laut KURIER-Recherchen mittlerweile eine Überprüfung der Waldschule – insbesondere des Internats – durchführt. Das Land ist Schulträger. Selbstkontrolle sozusagen. Auch die Volksanwaltschaft hat reagiert und wird prüfen. Ein Anrufer in der Redaktion stellt hier die Frage, ob die Kommission der Volksanwaltschaft nicht vor neuen Medikationslisten und aufgeräumten Medikamenten-Kästen stehen wird. Also nein, das kann nicht sein. Denn im Internat der Waldschule ist ja alles in Ordnung, sagen die Verantwortlichen. Kein Grund also, etwas zu vertuschen.
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