Wo bleibt die radikale Bildungsreform?
Christian Böhmer
01.09.24, 18:00Heute, Montag, beginnt für Österreichs Kinder die Schule, richtig? Nicht ganz.
Abgesehen davon, dass dies nur auf Pflichtschüler in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland zutrifft (über den Sinn dieser föderalen Skurrilität müsste man sich einmal gesondert unterhalten), unterschlägt die Aussage einen Umstand:
Nicht nur für die Schüler, für alle startet damit der Schulalltag – und das ist in manchen Familien – auch – ein Angst-Thema.
Zyniker beschreiben Österreichs Schulen ja seit Jahren als Fernlehr-Institute, die am Vormittag eine Anwesenheitspflicht für Kinder vorsehen, und wo am Nachmittag diverse „Hilfspädagogen“ – Eltern, Geschwistern, Großeltern, Nachhilfelehrer, etc. – munter weiter unterrichten.
Natürlich ist das eine zugespitzte Sicht der Dinge, und natürlich gibt es viele Schulen, die Klasse haben, wo sehr vieles sehr gut läuft. Doch die desperate Situation der Bildungseinrichtungen darf nicht schöngeredet werden, nicht an diesem Tag.
Die Probleme sind hinlänglich bekannt. Die größte Herausforderung ist, so war es am Sonntag im KURIER nachzulesen, die Integration. Hier geht es längst nicht allein um den Erwerb der gemeinsamen, gesellschaftliche Teilhabe erst ermöglichenden Sprache (laut Statistik Austria kann eines von drei Volksschulkindern Deutsch nicht als Umgangssprache verwenden, Anm.). Mindestens ebenso wichtig ist die niederschwellige Vermittlung jener „Basics“, die im Idealfall Eltern vorleben. Von der Gewaltfreiheit im Alltag bis hin zur Trennung von Staat und Religion, wir reden von grundlegenden zivilisatorischen Leistungen, die demokratische Gesellschaften ausmachen.
Wird die Erziehung der Kinder auf die Schulen abgewälzt? Natürlich wird sie das.
In einer Gesellschaft, die gleichberechtigtes Arbeiten mit Recht fordert und fördert, ist das nur logisch und so lange kein Problem, so lange die Schulen alle Mittel bekommen, um die an sie gestellten Aufgaben zu lösen. Doch das ist nicht der Fall.
Bis heute dürfen Schulen keine Autonomie leben, die den Namen verdient; bis heute leistet sich Österreich eine Bildungsverwaltung, von der die Pädagogen selbst behaupten, dass sie ihr das Arbeiten nicht erleichtert, sondern oft erschwert; und bis heute fehlt die Durchlässigkeit zur Privatwirtschaft, damit mehr begeisterte Lehrende für den Job gewonnen und überforderte Lehrer in andere Karrieren ausweichen können.
In der politischen Rhetorik ist das Wort „radikal“ bisweilen verpönt. Geht es darum, Österreichs Bildungslandschaft „von Grund auf“, „vollständig“ und „rigoros“ zu verbessern, scheint der Begriff freilich mehr als angebracht.
Noch ist die „radikale Bildungsreform“ im Wahlkampf kein Thema. Aber vielleicht kommt ja noch etwas. Vier Wochen bleiben bis zum Wahlsonntag.
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