Anonymes Schreiben im Parlament: Politik ohne Anstand und Respekt

GERMANY-AUSTRIA-POLITICS-DIPLOMACY
Das Fehlen von jeglichem Anstand zieht die Politik immer tiefer hinunter. Der Schaden wird alle Parteien treffen.
Martin Gebhart

Martin Gebhart

Noch rätseln die PR-Strategen, ob es politisch klug war, dass ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer öffentlich so emotional auf die Affäre rund um einen Alko-Unfall seiner Personenschützer reagiert hat. Auf jeden Fall war es authentisch. Wer Karl Nehammer kennt, weiß, dass für ihn die Familie alles ist.

Und dass er in solchen Fällen persönlich in die Konfrontation geht, wenn diese ins Visier anderer Parteien gerät. Das war so, als ihm SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch den Familienurlaub in den Semesterferien vorgeworfen hat. Das ist jetzt umso stärker zutage getreten, als bei der Kritik an seinem Personenschutz private Grenzen überschritten worden sind.

Außer Streit steht, dass die betroffenen Polizisten verkehrsrechtlich (Trunkenheit am Steuer, Unfall mit Sachschaden) zur Verantwortung gezogen werden müssen. Zusätzlich wird es noch polizeiinterne Disziplinarmaßnahmen geben. Bis hin zur Aufarbeitung, wie in der Polizei damit umgegangen worden ist (Stichwort: Interventionen). Außer Streit sollte aber auch stehen, dass selbst in so einem Fall ein anonymes Schreiben nicht automatisch in eine hoch offizielle parlamentarische Anfrage umgemünzt werden kann, wie das der SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner getan hat. Das müsste einem der politische Anstand sagen. Tut er aber nicht, weil sich die Parteien mittlerweile in Niederungen begeben haben, wo dieser Begriff nicht mehr vorkommt.

Besonders schlimm ist, dass sich viele Akteure in diesen Niederungen wohlfühlen und sie auch nicht verlassen wollen – trotz Ukrainekriegs, trotz Pandemie, trotz Teuerungswelle. Das parteipolitische Punkten auf Kosten anderer scheint so viel Spaß zu machen, dass gar nicht mehr bemerkt wird, wie sich die Wählerinnen und Wähler angewidert abwenden. Die wünschen sich in solchen Zeiten mehrheitlich einen Schulterschluss, nicht ein politisches Schlachtfeld, auf dem Anstand und Respekt nichts mehr zählen. Es gibt auch keine Partei, die von sich sagen kann, hier keine Fehltritte begangen zu haben.

Es ist fast genau ein Jahr her, da mahnte Bundespräsident Alexander Van der Bellen „politischen Anstand“ und „Respekt“ im Zusammenhang mit dem Ibiza-U-Ausschuss ein. Wirklich zu Herzen genommen haben es sich die Parteien nicht. Das hätten sie aber sollen, denn je tiefer die Politik hinuntergezogen wird, desto größer wird der Schaden sein, mit dem sie in Zukunft leben müssen. An der Basis, in den Ortsparteien, merkt man bereits, dass es schwieriger wird, junge Menschen für die Politik zu gewinnen. An der Spitze sagen Wunschkandidaten für ein Ministeramt ab, weil sie tagtäglich sehen, mit welchen Schmutzkübeln agiert wird. Und im Parlament finden sich nicht jene Kräfte, die gewillt sind, parteiübergreifend diese Abwärtsspirale zu stoppen.

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