"Wir sind auf dem besten Weg in die Zweidrittel-Demokratie"

"Wir sind auf dem besten Weg in die Zweidrittel-Demokratie"
Das untere Einkommensdrittel mit den vielen ausländischen Staatsbürgern beteilige sich immer weniger am politischen Geschehen, lautet das Fazit einer Diskussion.

Rudolfsheim-Fünfhaus wird immer wieder als Parade-Beispiel genannt. In diesem Wiener Gemeindebezirk darf beinahe die Hälfte der Bevölkerung nicht wählen gehen. 42 Prozent der Rudolfsheimer:innen befinden sich nicht im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft. Die Zahlen sind allerdings nicht nur im Westen Wiens besorgniserregend: 30 Prozent der Wiener:innen über 16 haben nicht die österreichische Staatsangehörigkeit, darunter auch viele junge Menschen, die in Österreich auf die Welt gekommen sind. 

"Es ist einfach dumm von unserer Gesellschaft, dieses Potenzial nicht aufzugreifen", betont Martina Zandonella vom Wiener SORA-Institut bei einer von der Arbeiterkammer Wien organisierten Diskussion. "Das sind junge Menschen, die unglaublich gute Ideen haben, unglaublich engagiert sind und jeden Tag Demokratie leben - in der Schule, in der Arbeit. Sie sind aktiv, sie sitzen nicht nur zuhause vor dem Smartphone und denken daran, wie arm sie sind, weil sie sich aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft nicht beteiligen können. Sie suchen sich schon ihre Wege", ist sich die Sozialwissenschafterin sicher. Es liege an "uns, den Älteren in der Gesellschaft, dieses Potenzial tatsächlich aufzugreifen". 

"Der Staat ist nicht besonders gut beraten, sich nicht darum zu kümmern, dass seine Wohnbürger:innen auch seine Staatsbürger:innen sind", sagte auch Politikwissenschafter Jeremias Stadlmair und nannte Beispiele, in etwa in Osteuropa, wo man in "ganz andere Richtung geht, dass sich Staaten aktiv bemühen, andere Staatsbürger:innen zu den eigenen zu erklären". Das sei allerdings nicht der Weg, den Österreich bestreiten sollte, doch "die Vorstellung, dass die Personen, die dauerhaft im eigenen Territorium leben, nicht die eigenen Staatsbürger:innen sind, ist in vielerlei Hinsicht unangenehm."

Man verschenke Potenziale. Nehme man zudem an, dass der Mensch ein politisches Lebewesen sei, dann stelle sich die Frage, wohin er sich dann eventuell orientiert, wenn er aus einem politischen System exkludiert wird. 

Die Frage nach der Legitimität unserer Demokratie

"Wenn man sich das Parlament anschaut, ist es nicht repräsentativ für die Bevölkerung", unterstrich Alexander Pollak von SOS Mitmensch. Die Organisation setzt sich schon länger für die automatische Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an alle, die hier geboren sind bzw. hier zur Welt kommen, wenn zumindest ein Elternteil schon sechs Jahre in Österreich lebt.

Die Tatsache, dass 18 Prozent der in Österreich lebenden Bevölkerung aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft von der demokratischen Mitbestimmung ausgeschlossen ist, habe laut Pollak "massive Auswirkungen darauf, wie das Parlament ausschaut, aber auch um welche Anliegen sich die Parteien im Parlament kümmern". Dieser Ausschluss bedeute aus seiner Sicht "automatisch, dass bestimmte Segmente unterrepräsentiert sind in unserer Demokratie". 

"Wenn im Parlament jüngere Menschen, Menschen mit Migrationsgeschichte sitzen würden, wären die Themen, die darin besprochen würden, ganz andere. All diese Themen, die uns alle gerade beschäftigen, von der Klimakrise über Krieg bis zur Pandemie, beschäftigt junge Menschen noch mehr. Weil es ihre Zukunft ist", stellte Anna Jandrisevits klar. Die Journalistin, die für das Instagram-Medium Die Chefredaktion arbeitet, merke, dass "viele retten wollen, was zu retten ist".

Viele Menschen aus ihrem Umfeld wollen sich politisch einbringen, können das aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft nicht. "Man muss sich fragen, wie legitim unsere Demokratie ist, wenn jene Menschen ausgeschlossen werden, die das alles am allermeisten betreffen wird", sagte Jandrisevits. 

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