Hofmeister: Antisemitismus ist ein großes Problem, auch in der muslimischen Community. Dagegen anzugehen heißt aber nicht einfach, nur diesen zu verurteilen, sondern auch, proaktiv Aufklärungsarbeit zu leisten. Das haben jüdische Gemeinden in ganz Europa mittlerweile verstanden.
Baghajati: Und manche Kräfte versuchen in der Tat, Muslime gegen Juden auszuspielen. Unter anderem, um sich selber vom Antisemitismus reinzuwaschen. Da wird dann gesagt: Wir haben gar kein Problem mit dem Antisemitismus, das ist euer Problem, das ist ein Migranten-Problem, ein muslimisches Problem. Bis dahin, dass man bei den Flüchtlingen sagt, man muss Angst vor ihnen haben, weil sie Antisemitismus mitbringen. Als ob es in Europa noch nie Antisemitismus gegeben hätte. Und in diesem Sinne: Ja, das ist die eigene Herausforderung, jegliche Diskriminierung zu erkennen und dagegen zu kämpfen.
Herr Baghajati, Sie haben vorhin den Nahostkonflikt erwähnt. Welche Rolle spielt dieser auch in den Glaubensgemeinschaften hier?
Baghajati: Das Wichtigste ist, dass wir zwischen unserem gemeinsamen Leben als Bürgerinnen und Bürger in Österreich und zwischen einem Konflikt, der in einem anderen geografischen Teil der Welt, trennen. Unser Appell ist, dass ein woanders stattfindender Konflikt unseren Kontakt in Österreich nicht trüben soll. Zu verschiedenen Themen miteinander zu reden heißt zudem auch nicht, die gleiche Meinung haben zu müssen.
Welche Rahmenbedingungen muss die Politik für einen gelungenen interreligiösen Dialog stellen?
Hofmeister: Historisch bedingt sind Religionen als Vertretung der Zivilgesellschaft mit in Österreich einer sehr hohen Anerkennung versehen. Der Austausch unter den Religionsgesellschaften und dann auch die Aufnahmebereitschaft der Politik sind eigentlich sehr vorbildlich. Da sind wir in Österreich sicherlich im europäischen Vergleich führend.
Baghajati: Das kann ich bestätigen. Aber insbesondere in Zeiten der türkis-blauen Regierung, durch die Verschärfung des Islamgesetzes, hatten wir schon den Eindruck, dass Österreich sich von der Vorbildrolle entfernt.
Hofmeister: Ich verstehe den Frust über das Islamgesetz. Da hätten manche Dinge anders laufen sollen. Aber das Grundprinzip des Islamgesetzes, genauso wie das des Israelitengesetzes, ist eigentlich ein Vorbild.
Baghajati: Das haben wir auch selber so verlangt.
Hofmeister: Das verlangen viele. Viele muslimische Gemeinden in Deutschland bekommen das nicht. Die meisten europäischen Länder haben so etwas gar nicht.
Der Trend der letzten Jahre ist, dass der Anteil von Menschen, die sich als religiös bezeichnen, immer weiter sinkt. Verliert Religion in Österreich an Relevanz?
Hofmeister: Die institutionalisierte Religion ist sicherlich etwas, was mit dem 19. Jahrhundert in Europa immer mehr an Bedeutung verloren hat. In unserer Generation sehe ich ein weiteres Abdriften von Religion, aber auch ein Suchen nach Spiritualität. Und wenn Menschen das in der eigenen Religion nicht finden, dann suchen sie eine andere Religion oder andere Art und Weise, diese Spiritualität auszuleben. Zusammengefasst: Religion verschwindet nicht. Es ist eher eine Abkehr von den Institutionen, vom Establishment.
Baghajati: Ich glaube auch, dass wir als Religionsgemeinschaften vor großen Herausforderungen stehen. Wir sind in einer Zeit, wo sich nicht alle alles leisten können, was sie sich vor einigen Jahren noch leisten konnten. Die Religionen müssen Solidaritätsgedanken und sozialen Zusammenhalt ausstrahlen. Sie muss zu der gesellschaftlichen Kälte etwas Wärme hinzugeben, ohne unbedingt missionieren zu wollen.
Wie müssen religiöse Gemeinschaften auch mit Fragen der Zeit, wie zum Beispiel der Klimakrise oder Identitätsthemen umgehen?
Hofmeister: Die gesamte rabbinische Literatur der letzten 2000 Jahre beschäftigt mit den Prinzipien der Tora, des jüdischen Rechts und wie sie auf die sich wandelnde Zeit anzuwenden sind. Aber vielleicht sind Religionen manchmal etwas schwerfällig und warten mal, ob sich ein Thema nicht wieder von selbst löst. Und es gibt doch einige Themen, die hochkochen und dann wieder verschwinden. Es dauert, bis sich das dann auch in der Praxis, in der rabbinischen Auseinandersetzung etabliert.
Baghajati: Themen wie Gentechnik, Umweltschutz, Umgang mit Bewaffnung und Atom. Schwangerschaftsabbruch oder Sterbehilfe. Zu all diesen Dingen gibt es sehr viel in der islamischen Literatur, die auch nicht einer Meinung sind. Hier sind die Gelehrten einberufen, Antworten zu liefern und anti-diskriminierend zu wirken. Es braucht Mut von den Religionsgemeinschaften, aufzutreten, da zu sein, um gesamtgesellschaftlich Positives zu bewirken.
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