„Rabbiner bleibt man immer“

„Rabbiner bleibt man immer“
Schlomo Hofmeister spricht über das Judentum, Muslime, Christen und seinen Hut.

„Müssen Juden wieder Angst haben?“ Diese Frage wurde bei einem KURIER-Gespräch im Billrothhaus in Wien mit Oberrabbiner Schlomo Hofmeister diskutiert. Vor Porträts aus einer Skizzenserie von Oskar Stocker.

KURIER: Herr Hofmeister, Sie sehen auf beiden Porträts sehr würdig aus. Muss man als Rabbiner würdig sein? Schlomo Hofmeister: Ich glaube, es wird erwartet. Als Rabbiner steht man für das, was man repräsentiert, also die Tora, das jüdische Leben und die jüdische Gemeinde. Im Judentum gibt es keinen Klerus, vielmehr muss der Rabbiner ein Vorbild sein, nach innen und nach außen.

Sie wurden 1975 in München geboren, ab wann wollten Sie Rabbiner werden?

Mit 17 wollte ich noch Arzt werden, so wie mein Vater und Großvater, aber mein Vater hat mir sehr davon abgeraten. Die meisten Ärzte waren damals arbeitslos und als Taxifahrer tätig. Ohne Führerschein wäre das für mich schwierig geworden.

Sie haben eine sehr breite Ausbildung. Sie hätten auch andere Berufe ergreifen können. Warum denn gerade Rabbiner?

Ich werde das ständig gefragt, ich weiß es nicht. Nach dem Abitur war ich auf der Jeschiwa, einer Talmud-Akademie, dann habe ich in London Sozialwissenschaften studiert, parallel dazu mit dem Rabbinat-Studium begonnen und es dann in Jerusalem beendet. Das Judentum war die erste Religion, die sich sehr stark mit Schriften auseinandersetzte. Was sind die Dinge, die man als Rabbiner unbedingt lernen muss?

Im Rabbinatstudium geht es neben dem Studium der Schriften und des Talmud vor allem auch um das Praktische, die Halacha, das ist das jüdische Recht. Darin muss ein Rabbiner der Experte sein. Man kann in der Jeschiwa das Leben lang Talmud lernen, dann ist man zwar gelehrsam, aber noch lange kein Rechtsexperte.

Sie haben eine Kopfbedeckung auf, wann müssen Sie die aufhaben und wo steht das?

Als religiöser Jude sollte ich immer etwas am Kopf tragen. Das muss aber kein schwarzer Hut sein.

Immer?

Fast immer, schlafen gehe ich damit nicht. Mein schwarzer Anzug und Hut sind keine Tradition aus der Antike, es gibt aber die Richtlinie, dass wir als Juden besonders darauf achten sollten, immer ordentlich gekleidet zu sein. Jetzt sind wir aber ein bisschen konservativ und sind irgendwann bei diesen Hüten hängen geblieben, auch als die anderen Europäer die Hüte abgelegt haben. Vor 100 Jahren hätte man auf der Straße den westeuropäischen Juden von einem Katholiken an der Kleidung kaum auseinanderhalten können.

Sie haben mal gesagt, dass sich die deutsche Gesellschaft eher ihrer Vergangenheit bewusst ist und auch anders damit umgeht als die österreichische.

Die politische Auseinandersetzung mit der Geschichte ist eine Entwicklung. Bereits in den 60er- und 70er-Jahren waren sich deutsche Gesellschaft und deutsche Politik ihrer Geschichte und der damit verbundenen Verantwortung durchaus bewusst. Das kam in Österreich erst viel später und ist ein Prozess der vergangenen 25 Jahre. Vor einigen Jahren gab es einmal einen Vorfall am Schwedenplatz! Spüren Sie Antisemitismus in Österreich?

Ja, als ich noch relativ neu in Wien war, hat mir ein Hooligan am Schwedenplatz den Hitlergruß gezeigt und mich beschimpft, daraufhin habe ich mich an einen in der Nähe stehenden Polizisten gewandt, der hat nur gesagt, „Geh herst, heit is’ Fußball“. Mittlerweile bin ich sehr dickhäutig geworden. Antisemitismus von rechts erlebe ich regelmäßig, mehrmals im Monat, wenn nicht wöchentlich.

Sie persönlich?

Ja, persönlich.

Was passiert da?

Verbale Aggressivität. Ich bin nie physisch angegriffen worden, aber verbal. Nach dem Motto „schleich di“ oder „du gehörst hier nicht her“. Junge Leute äußern sich dann, wenn sie in der Gruppe sind. Dann gibt es Anfeindungen wie „Dich haben sie vergessen“ oder „Da hat das Gas nicht mehr ausgereicht“.

Denken Sie dann manchmal daran, wie es Menschen 1938 ergangen ist?

In gewisser Weise natürlich schon, wobei, ich scheue historische Vergleiche. Geschichte wiederholt sich nicht, die Faktoren ändern sich. Aber scheinbar haben viele Menschen aus der Geschichte nicht gelernt. Antisemitismus und antisemitische Gewalt waren ja keine Erfindung der 30er-Jahre.

Kaum fällt der Name George Soros, werden antisemitische Vorurteile laut.

Wenn in Osteuropa die Juden arm waren, dann waren sie die Schnorrer und Parasiten, und wenn einige Juden in Westeuropa erfolgreich und wohlhabend waren, dann waren auf einmal alle Juden Bonzen und Kapitalisten. Antisemitismus ist ein ganz besonderes Phänomen.

Was ist für Sie das Christentum? Ist es für Sie eine Abspaltung des Judentums?

Nein. Die gemeinsame Wurzel in der Person Jesu sieht nur das Christentum als solche. Jesus ist für uns weder der Messias, noch ein Prophet. Jesus ist nicht, was uns verbindet, sondern, was uns trennt. Als Menschen sind wir aber natürlich alle Kinder Gottes, und als Monotheisten verbindet uns mit dem Christentum wie mit dem Islam religiös-weltanschaulich doch so einiges.

Sie haben mit Ramazan Demir eine Reise nach Jerusalem gemacht. Ist der Imam Ihr Freund geworden?

Er ist zum Freund geworden. Wir waren an den Stätten, die uns beiden heilig sind, direkt am Ort des Konflikts, der sehr oft unsere Gemeinden weltweit entzweit. Aber der Nahostkonflikt ist kein Konflikt zwischen Juden und Muslimen. Das ist ein politischer Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Das hat nur sehr wenig mit Religion zu tun. Die Religion wird politisch ausgenutzt und dadurch zum Buhmann. Einen interreligiösen Dialog zu führen, fernab vom politischen Konflikt, ist einfach.

Flüchtlinge aus Syrien sind mit einem Hass auf Israel und die Juden aufgewachsen.

Dort herrscht ein virulenter Antizionismus, der sich auch mit Antisemitismus natürlich verbindet. Meiner eigenen Erfahrung nach sind gerade die Flüchtlinge aus dieser Region jedoch bereit, ihr Weltbild neu zu ordnen und sich von diesen indoktrinierten Vorurteilen zu befreien, und allgemein wesentlich weltoffener als der durchschnittliche Europäer in 2018. Vielen Europäern macht es Angst, dass da Menschen kommen, die ihre Religion konsequent praktizieren und sich auch selbstbewusst kulturell unterscheiden. Wenn diese Menschen dann auch noch qualifiziert sind, vielleicht sogar im Öffentlichen Dienst arbeiten könnten, dann wird es ganz besonders bedrohlich. Ihnen, auch vollkommen unbegründet, den kollektiven Vorwurf zu machen, undemokratisch, frauenfeindlich, gewalttätig und Feinde der europäischen Werteordnung zu sein, ist dann ein gerne bemühter Mechanismus, ohne aber dieselben Maßstäbe auch dem eigenen Demokratieverständnis, dem eigenen Sexismus und den eigenen Problemen mit häuslicher Gewalt anzulegen.

Was ist ein guter Jude, was ein guter Christ? Die 10 Gebote?

Sie brauchen keine 10 Gebote, ich gebe Ihnen sieben. Sie können unter anderen die Schabbatvorschriften weglassen, die gelten nur für Juden und sind nicht universell verpflichtend.

Und wenn ich mich an diese sieben Gebote halte, kann ich ein guter Jude sein?

Dann können Sie ein guter Mensch sein. Um ein guter Jude zu sein, muss ich ein guter Mensch sein und noch ein bisschen mehr einhalten. Wir sollen ein Volk von Priestern für die Menschheit sein, nicht für uns. Ein Jude ist nicht besser als ein Nichtjude, sondern hat durch die vielen rituellen Vorschriften lediglich eine andere Verantwortung.

Was sagen Sie, wenn eine Frau oder ein Mann zu Ihnen kommt und sagt, ich möchte Jude werden?

Dann versuchen wir zuerst zu vermitteln, dass das nicht nötig ist, um den Willen Gottes zu tun, aber damit eine große Verantwortung verbunden ist. Wenn sie es dann trotzdem möchten, kann ein Prozess des Übertrittes begonnen werden, der aber Jahre dauern kann.

Was werden Sie machen, wenn Sie so alt sind, wie Sie auf dem linken Porträt aussehen, noch immer Rabbiner sein?

Rabbiner ist kein Status, sondern eine Lebensaufgabe. Auch wenn ich nächstes Jahr einen Gebrauchtwagenhandel aufmachen würde, wäre ich immer noch Rabbiner. Fünf Kinder und eine ganze Gemeinde sind ja nicht wenig.

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