Serbien unter jenen Ländern in Europa, die Corona am besten überstanden haben

Serbien unter jenen Ländern in Europa, die Corona am besten überstanden haben
"Ich bin kein großer Fan von Vučić, aber was seine Wirtschaftspolitik der letzten Jahre angeht, hat er fast alles richtig gemacht", sagt ein Wirtschaftsexperte.

Dass Serbiens Präsident Aleksandar Vučić und seine Serbische Fortschrittspartei (SNS) die Präsidentschafts-, Parlaments- und Kommunalwahlen am Sonntag klar gewinnen werden, steht für den Serbien-Experten des WIIW, Branimir Jovanović, außer Zweifel. Die Russland-freundliche Haltung des Präsidenten deckt sich mit jener des Großteils der Bevölkerung. Die Nähe zu Russland könnte in den kommenden Jahren aber zum Problem für die Wirtschaft des Landes werden, glaubt der Ökonom.

Die Zeit für einen politischen Wechsel sei noch nicht gekommen, meinte Jovanović im Gespräch mit der APA, aber die Opposition werde gestärkt aus den Wahlen hervorgehen und beim nächsten Mal sei dann alles möglich.

Für die freundschaftlichen Beziehungen Serbiens zu Russland gebe es sowohl politische als auch ökonomische Gründe, erklärte Jovanović. Diese Freundschaft habe alte historische Wurzeln und werde von vielen Serben unterstützt. Auf diese Wähler müsse Vučić Rücksicht nehmen. Andererseits habe Vučić selbst im Laufe der Jahre eine persönliche Beziehung zum russischen Präsidenten Wladimir Putin aufgebaut, den er bereits 19 Mal getroffen habe. "Wahrscheinlich ist Russland Serbiens einziger Unterstützer in der Kosovo-Frage. Und es gibt kein Thema, das die Serben im In- und Ausland mehr eint als die Kosovo-Frage."

"Aber es geht nicht nur um Politik", betonte der Serbien-Experte des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche. "Russland ist auch einer der wichtigsten Wirtschaftspartner Serbiens und der viert- oder fünftgrößte ausländische Investor. Zwischen 2010 und 2020 haben russische Unternehmen rund 1,5 Mrd. Euro in Serbien investiert. Außerdem ist Russland einer der wichtigsten Abnehmer serbischer Güter."

"Ein EU-Beitritt bis 2030 ist sehr wahrscheinlich"

Diese ökonomische Verflechtung spiele gerade angesichts der aktuellen Energiekrise eine wichtige Rolle. "Vucic hat Putin vor einigen Monaten besucht und sehr vorteilhafte Gas-Konditionen bekommen." Serbien spare sich durch das günstige Gas mehrere hundert Millionen Euro. "Mehr als 80 Prozent des serbischen Gasverbrauchs werden durch Importe aus Russland gedeckt." Ein rascher Wechsel zu anderen Gaslieferanten sei nicht möglich, daher müsse Serbien auf gute Beziehungen zu Russland achten. "Vucic wird also weiterhin versuchen, auf zwei Stühlen zu sitzen." Problematisch sei für Serbien, dass zu wenig in erneuerbare Energien investiert werde und das Land weiterhin stark von Energieimporten abhängig sei.

Durch den Ukraine-Krieg werde es in den nächsten Jahren zu einer wirtschaftlichen Entkoppelung zwischen der EU und Russlands kommen. Die EU wolle sich unabhängig machen von russischem Gas und Öl, was für Serbien zu einem Problem werde. "Wahrscheinlich werden Russlands Investitionen in Serbien sinken, ebenso wie Serbiens Exporte nach Russland." Der EU-Beitritt Serbiens könnte sich als Folge des Ukraine-Krieges etwas beschleunigen, glaubt Jovanović. "Ein Beitritt bis 2030 ist sehr wahrscheinlich, aber nicht vor 2025."

Gut durch Corona gekommen

Durch die Corona-Pandemie sei Serbien sehr gut gekommen, meint Jovanović. "Ich bin kein großer Fan von Vučić, aber was seine Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre angeht, hat er fast alles richtig gemacht." Im ersten Coronajahr 2020 sei die serbische Wirtschaft nur um rund ein Prozent geschrumpft, 2021 sei sie sogar um 7,5 Prozent gewachsen. Serbien gehöre also zu jenen Ländern in Europa, die Corona am besten überstanden hätten.

"Einer der wesentlichen Gründe dafür ist, dass die serbische Regierung sehr viel Geld zur Unterstützung der Wirtschaft ausgegeben hat." Dazu gehörten auch öffentliche Bauaufträge für Autobahnen, Bahnstrecken oder die U-Bahn in Belgrad. "Sie hatten sogar während der Pandemie einen starken Zufluss an ausländischen Direktinvestitionen." Ein weiterer Grund, warum die serbische Wirtschaft die Coronakrise relativ unbeschadet überstanden habe, sei die Tatsache, dass es keine strengen Lockdowns gegeben habe. Das sei aber auch in anderen Ländern der Region so gewesen.

Zu Beginn des laufenden Jahres habe sich das Bild aber etwas geändert. "Die Industrieproduktion ist im Jänner um 3 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken." Grund dafür sei einerseits die Energiekrise, andererseits die Lieferkettenprobleme in der Autoindustrie. "Durch den Ukraine-Krieg werden sich die Probleme noch verstärken, weil Serbiens Russland-Exposure wesentlich größer ist als in irgendeinem anderen Land in Europa. Darum werden sie von den Sanktionen gegen Russland und vom Krieg stärker betroffen sein." Das WIIW werde deshalb seine Prognose für die serbische Wirtschaft senken. Die Zahlen seien noch nicht fix und würden erst in etwa drei Wochen veröffentlicht, doch er gehe davon aus, dass man die Wachstumsprognose für heuer von 5 Prozent auf 3 bis 3,5 Prozent zurücknehmen werde.

Viele Serben verlassen das Land

Gegenüber Westeuropa habe Serbiens Wirtschaft seit dem Ende der Balkankriege in den 1990er-Jahren nur wenig aufgeholt, sagte Jovanović. Erst in den vergangenen paar Jahren habe sich der Aufholprozess beschleunigt. Der Handel Serbiens mit seinen Nachbarländern nehme zwar zu, der wichtigste Handelspartner sei aber die EU.

Die Inflation war in Serbien mit 8,8 Prozent im Februar etwas höher als in der EU und für das Gesamtjahr wird sie auf 9 bis 10 Prozent geschätzt. Serbien habe aber auch in der Vergangenheit immer wieder eine hohe Inflation gehabt, die aktuelle Teuerung sei für das Land nicht besorgniserregend. 2021 habe die Regierung die Beamtengehälter mehrmals erhöht und auch den Mindestlohn 2022 neuerlich angehoben. Das Wachstum der Reallöhne betrage derzeit 2 bis 3 Prozent.

Er erwarte keine Lohn-Preis-Spirale, sagte Jovanović, weil die Inflation angebotsgetrieben sei und von den steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen verursacht werde. Die serbische Regierung sollte also weiterhin versuchen, die Löhne zu erhöhen, um die Kaufkraft der Menschen zu stärken. Am ganzen Balkan lebe etwa ein Fünftel der Bevölkerung in Armut. Die offizielle Arbeitslosenrate betrage in Serbien 11 Prozent, das Land habe derzeit noch keinen Mangel an Arbeitskräften, aber in einigen Jahren könnte das auch dort der Fall sein, ähnlich wie in Tschechien oder Ungarn. Viele Serben würden das Land verlassen und die Geburtenrate sei niedrig.

Eine Stärke der serbischen Wirtschaft sei der hohe Anteil an Studenten in den STEM-Fächern (Naturwissenschaften, Technik, Mathematik), der bei 27 Prozent liege.

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