Marko Miloradović: "Politik ist ein Kampfsport"

Marko Miloradović: "Politik ist ein Kampfsport"
Der Tiroler, der seit fünf Jahren als stellvertretender Büroleiter von Peter Hanke fungiert, über den Wirtschaftsstandort Wien, die Kabinettsarbeit und Ex-Jugoslawen in der österreichischen Politik.

Die perfekt weiche Aussprache des Hačeks hat ihn gleich verraten. "Miloradović? Zweiter Stock", weist uns Portier Božo den Weg ins Büro des Stadtrats Peter Hanke.  

Oben am Empfang angekommen, bietet uns Frau Dragica einen Kaffee an. Es folgt ein Smalltalk in Bosnisch/Kroatisch/Serbisch. Kurz vergessen wir, dass wir im Wiener Rathaus sind. Bis unser Gesprächspartner kommt und uns in leichtem Tiroler Akzent in sein Büro hereinbittet.

Marko Miloradović fungiert seit fünf Jahren als stellvertretender Büroleiter von Peter Hanke und ist seit vergangenem Sommer auch Bereichsleiter für strategische Finanz-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Eine anspruchsvolle Aufgabe in anspruchsvollen Zeiten.

KURIER: Sie als Finanzexperte können es uns sicherlich sagen: Wann geht's wieder bergauf hier in Österreich?

Marko Miloradović: Ich glaube, wir sind nicht unten, sodass wir an bergauf nicht denken müssen. Wien hat in seiner Geschichte noch nie so viele Arbeitsverhältnisse gehabt - derzeit sind es 908.000 unselbstständige Beschäftigungsverhältnisse. Vor 15 Jahren waren es gut 750.000. Das heißt, der Arbeitsmarkt funktioniert. Wir erleben eine Art Reindustrialisierung. 

Wie kommt das? 

Die sogenannte Life-Science-Branche, also alles aus dem Pharma-Bereich, kommt gerne nach Wien. Die großen Konzerne wollen einen möglichst kleinen CO₂-Abdruck, und das ist in Wien möglich. Riesige Investitionen wird auch die "Raus aus Gas"-Strategie nach sich ziehen. Ich sehe darin große Chancen für den Wirtschaftsstandort Wien. Ich sehe Wien eigentlich gut gerüstet. 

Es ist also alles nicht so schwarz?

Nein! Man darf es auch nicht so sehen, selbst wenn es schwierig ist. Wer verzweifelt, hat verloren. Man darf nie verzweifeln. 

Sie sind in Jugoslawien geboren und in Innsbruck aufgewachsen. Wie kam es dazu, dass Sie heute in einem Kabinett im Wiener Rathaus sitzen?

Meine Eltern sind klassische Kinder dieser Gastarbeitergeneration, die ihre Kinder bei den Großeltern aufwachsen ließen, während sie im Ausland arbeiteten. Das war damals das Modell. Kurz vor dem Kriegsausbruch zogen wir nach Innsbruck, wo bereits die anderen Großeltern lebten. Ich wuchs in einem sehr politischen Haushalt auf - mit unterschiedlichen Ansichten. Es war eine gute Schule zum Diskutieren. 

Ab welchem Alter ist man reif für die Politik?

Mit 14 war mein politisches Bewusstsein soweit ausgereift, dass ich mich engagiert habe. Ich ging zuerst zur Sozialistischen Jugend in Tirol, war später Vorsitzender der jungen SozialistInnen und auch Gemeinderat. Ich spürte, dass Politik etwas ist, wofür ich mich begeistern kann. 

Wann kam der Sprung nach Wien?

Nach dem Abschluss meines Jus-Studiums fing ich an, am Wiener Verwaltungsgericht zu arbeiten. Irgendwann kam dann der Anruf aus dem Kabinett der damaligen Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser und das Angebot, dort als Verhandler für Justiz und Sicherheitsfragen anzufangen. So bin ich zu dieser Kabinettsarbeit gekommen.

Marko Miloradović: "Politik ist ein Kampfsport"

Wie stellt man sich diese Arbeit denn vor?

Das bedeutet, den Politiker bzw. Politikerin zu begleiten, seinen/ihren Tag zu strukturieren und die Positionen mit ihm/ihr zu schaffen - und letztlich das Scharnier zwischen Politik und Verwaltung zu sein. 

Wie fordernd ist Kabinettsarbeit?

Sie ist sehr zeitintensiv und kann bis zu 60-70 Stunden die Woche in Anspruch nehmen. Wenn etwas passiert, ist man immer der Erste, der angerufen wird. Bereitschaft hat man immer. Das Feine ist, dass jeder Arbeitstag ganz anders ist. Unsere Rolle ist eine koordinierende. Wir versuchen, die richtigen Leute mit den richtigen Institutionen zu verknüpfen. 

Hört sich nach viel Druck an ...

Ja. Ich bin aber der Überzeugung, dass man Kabinettsarbeit nicht ewig machen soll. Man muss schon für die Themen brennen. Wenn das nicht mehr der Fall ist, dann macht es keinen Sinn. Es ist auch gut für ein Kabinett, wenn sich die Leute irgendwann anderswohin entwickeln. Und es ist gut für den Politiker bzw. die Politikerin, wenn sein Team sich immer wieder erneuert. Die Welt verändert sich und man muss diesen frischen Blick haben. 

Sie erwähnten, dass Politik in Ihrer Familie ein großes Thema ist. Widerspricht das nicht dem Bild, das man von Gastarbeitern hat?

In jenen Gastarbeiterfamilien, die ich kenne, wird sehr oft und sehr inbrünstig politisiert. Ob das jetzt die großen Fragen der Welt wie etwa Klimawandel sind oder die Politik im ehemaligen Jugoslawien. Die Politik ist immer noch ein Gassenhauer am Esstisch. Emotional wird es bei der älteren Generation vor allem dann, wenn es um die alte Heimat geht.

Wie gefährlich werden diese Diskussionen? Lässt sich nach diesen ganzen Kriegen zwischen den verschiedenen Völkern ein gesunder Diskurs führen?

Man muss den Diskurs führen. Wer den Diskurs abbricht, hat aufgehört politisch zu denken bzw. politisch etwas zu wollen und somit verloren. Es gibt aber Leute, die im Krieg viel verloren haben, da kann es schon manchmal überkochen. Da ist schon etwas Feingefühl gefragt.

Demokratie scheint es in Ex-Jugoslawien nicht leicht zu haben ...

Demokratie, wie wir sie uns in Österreich vorstellen, zu lernen, ist natürlich ein langer Prozess. Österreich hat es aber auch gelernt - nachdem man einmal teuer dafür bezahlt hat, dass man den Weg nach 1918 nicht vollends gegangen ist. Ich bin überzeugt davon, dass die nachfolgenden Generationen in Ex-Jugoslawien einen Lebensstil pflegen wollen, der dem in Österreich und Deutschland ähnelt. Am Ende wollen auch die Leute, die sich in politischen Diskursen zum Beispiel als prorussisch äußern, lieber in Wien als in Nischni Nowgorod leben. 

Sie sagen, die Politik ist unter den hier lebenden Ex-Jugoslawen ein großes Thema. Politik selbst betreiben wollen aus dieser riesigen Community aber nur wenige. Warum?

Für die ersten Gastarbeitergenerationen war das Phänomen, dass man an der Politik partizipieren kann, überhaupt nicht greifbar. Sie waren es in ihrer Heimat gewohnt, dass die Politik von oben kommt. Für ihre Kinder, die dann in Österreich geboren worden sind, war das dann schon wesentlich näher. So wurde Muna Duzdar Staatssekretärin, Alma Zadić Justizministerin. Wir haben auch einige weitere Politiker mit Migrationshintergrund, die heute Parlamentarier, Gemeinderäte oder Bezirksräte sind - und zwar in allen Bundesländern Österreichs. 

Proportional zum Anteil an der Gesamtbevölkerung scheint es aber nicht zu sein ...

Um sich politisch zu engagieren, muss man bestimmte Ressourcen wie etwa Zeit haben. Man sieht, dass der politische Diskurs auch berufsgruppenspezifisch ist. Es gibt bestimmte Berufe, die überproportional viel in der Politik sind und jene, die gar nicht vertreten sind. Jemand, der vom Bau kommt, hat am Abend oftmals nicht die Energie und die Zeit, mit anderen 20 Leuten zu debattieren. Es ist das Phänomen des Milieus, dass Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich oft harte, körperliche Jobs haben. 

Fehlt es da nicht auch an Selbstbewusstsein?

Es gibt sicherlich Leute, bei denen der Gedanke, dass man die Möglichkeit hat, mitzumachen, gar nicht so im Kopf steckt. Das dürfte auch ein wenig weitergegeben worden sein von der ersten Generation. Viele glauben aber auch, dass politischer Aktivismus bedeutet, dass man gleich im Nationalrat sitzen muss. Man kann politisch aktiv werden, indem man sich etwa dafür einsetzt, dass im Bezirk endlich ein neuer Park entsteht. 

Kann der Migrationshintergrund auch ein Türöffner für die politische Bühne sein?

Also ich bin kein wandelnder Migrationshintergrund, genauso wenig wie Sie. Es ist ein Teil von mir, aber als einziges Identifikationsmerkmal ist es mir zu einfach. Mein Migrationshintergrund ist hier nie ein Thema gewesen. Ich bin hier, weil ich etwas von Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik verstehe.

Haben Sie dennoch jemals erlebt, dass man Sie aufgrund Ihres Backgrounds zum Beispiel in die Integrationspolitik drängen wollte?

Ich kenne das Phänomen, diese Zuschreibungen, habe es aber persönlich tatsächlich nie erlebt, dass man mir diese Karte zuschreiben wollte. Dass man mich eher zu Finanzmärkten als zu Integrationspolitik befragen sollte, war allen um mich herum eh immer klar. Ich habe auch viele Politiker in meinem Leben begleitet und dabei eines gelernt: Die Politik ist unter anderem ein Kampfsport und so muss man sie auch sehen. Wer das nicht tut, wird darin nicht glücklich werden.

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