"Frauen wurden in der Integrationspolitik vergessen"
Asiye Sel ist Soziologin und Referentin in der Frauenabteilung der Arbeiterkammer. Im KURIER-Interview erklärt die selbst kurdisch-stämmige Expertin, wieso Frauen mit Migrationshintergrund in den letzten Jahren vernachlässigt wurden, welche Rolle Arbeit bei der Selbstbestimmung spielt und warum die Kopftuch-Debatte der Integrationspolitik geschadet hat.
KURIER: Sind Sie als erfolgreiche Frau mit Migrationshintergrund eine Ausnahme in Österreich?
Asiye Sel: Es gibt viele zugewanderte, erfolgreiche Frauen, die in wirklich guten Positionen sind – in der Politik, im Gesundheitsbereich, im Bildungsbereich. Aber es gibt sie nicht in der Zahl, wie es eigentlich sein sollte, und so, dass es die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit und Diversität widerspiegelt. Was wir jetzt haben ist, dass viele Migrantinnen nur in bestimmten Bereichen und Sektoren beschäftigt sind – meist als Arbeiterinnen. Man sieht sie weniger in höheren Positionen.
Wie erklären Sie sich das?
Es sind natürlich auch individuelle Faktoren, aber die meisten sind aus meiner Sicht strukturelle. Also zum Beispiel die geringere Bildung, die Migrantinnen oft haben. Das ist für mich kein individueller Faktor, weil Frauen oft gar nichts dafür können, dass sie z. B. in ihren Herkunftsländern nicht zur Schule gehen durften oder keine weiterführende Schule besuchen. Wenn man sich zum Beispiel afghanische Frauen anschaut, denen jetzt schon seit Jahrzehnten theoretisch, aber auch praktisch, der Schulbesuch verwehrt ist. Hinzu kommen rechtliche Zugangsbeschränkungen.
Welche denn?
Asylbewerberinnen und Asylwerber haben keinen freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Und wir wissen, wie lange Asylverfahren oft dauern können. Wir wissen aber auch generell, dass Frauen ihre Berufskarrieren wegen der Kinder unterbrechen müssen - Und je länger Frauen vom Arbeitsmarkt fernbleiben, desto schwieriger wird der Wiedereinstieg. Ein wichtiger struktureller Grund sind ebenfalls die schlechten Arbeitsbedingungen in bestimmten Branchen. Viele Frauen, vor allem mit Migrationshintergrund, sind in Dienstleistungsberufen beschäftigt. Diese systemrelevanten Berufe, die immens wichtig für die Gesellschaft sind, bekommen aber wenig Anerkennung. Ein Beispiel ist die Reinigungsbranche. Und es sind oft Berufe, wo Frauen nur geringfügig oder Teilzeit arbeiten. Das heißt, diese Frauen können von ihrem Einkommen alleine nicht auskommen. Sie sind damit – sehr häufig von ihren Männern abhängig.
Wie wichtig ist die Arbeit bei der Selbstbestimmung?
Damit eine Frau ihr Leben selbstbewusst bestimmen und leben kann, ist die Arbeit mit einem guten Einkommen das Um und auf. Arbeit ist nicht nur etwas, wo man einfach Geld verdient. Sie unterstützt die Frauen bei der Integration in die Gesellschaft. Sie unterstützt natürlich auch den Spracherwerb. Frauen sind wichtige Integrations-Akteurinnen - bei der Familie, der Community und auch bei den eigenen Kindern. Insofern ist es ganz wichtig, Frauen, die zugewandert sind, gezielt zu unterstützen. Das haben wir in der Integrationspolitik total verabsäumt. Frauen wurden vergessen. Da kann man Parallelen zu den damaligen Gastarbeitern sehen. Bis Frauen es geschafft haben, den Weg zu einer Institution oder Behörde zu finden, hat es sehr lange gedauert.
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