Vor etwas mehr als einem Jahr gab es die Hiobsbotschaft für Österreichs Handball. Teamkapitän Nikola Bilyk hatte sich im Trainingslager seines deutschen Klubs THW Kiel einen Kreuzbandriss zugezogen. Inzwischen ist die schwere Verletzung auskuriert, am vergangenen Wochenende feierte der 24-jährige Ausnahmespieler ein erfolgreiches Comeback auf das Parkett. Im Gespräch mit dem KURIER plaudert der Wiener darüber, wie mühsam eine einjährige Zwangspause sein kann, über sein Hochdeutsch nach fünf Jahren in Kiel, die ukrainischen Wurzeln und die Hilflosigkeit in einem zähen Konflikt.
KURIER: Wie geht's Ihnen heute, ziemlich genau ein Jahr nach der schweren Verletzung?
Nikola Bilyk: Danke der Nachfrage, mir geht’s gut. Ich bin sehr, sehr, sehr glücklich darüber, dass ich wieder Handball spielen und die Zeit mit meiner Mannschaft genießen kann. Das erfüllt mich auch mit Stolz, dass ich das jetzt hinter mir habe.
Das Comeback ist mit dem Triumph im deutschen Super Cup gegen Lemgo gelungen. Ihnen gelang sogar ein vorentscheidender Treffer. Wie erging es Ihnen dabei?
Es fühlte sich schön an, den Pokal gewonnen zu haben. Noch mehr habe ich mich allerdings darüber gefreut, endlich wieder ein Pflichtspiel bestreiten zu können. Ich habe natürlich bemerkt, wie die Jungs mein Tor gefeiert haben. Schön, wie sich die Mannschaft da mit mir gefreut hat - es war für mich ein unglaubliches Gefühl.
Für Sie war es die erste große Verletzung in Ihrer Karriere. Was geht eigentlich einem Profi-Sportler durch den Kopf, wenn er plötzlich zu viel Freizeit hat?
(Lacht) Naja, ich habe ganz genau so gedacht, dass da viel Freizeit auf mich zukommt. Aber das war dann ganz anders. Nach der Operation verbrachte ich eine Woche im Krankenhaus und dann folgte schon die fünfwöchige Reha. Meine Woche war von Montag bis Freitag komplett durchgeplant. Da war eigentlich eher wenig Zeit für irgendwas anderes. Freizeit war eigentlich dann doch eher ein Fremdwort.
Die meisten Laien nehmen aber an, dass Profisportler, wenn sie verletzt sind, die Füße hochlegen können ...
ch würde fast sagen, dass man von der Zeit her sogar viel, viel mehr arbeitet in dieser Phase, als man nur gesund ist. Wenn du gesund bist, dann hast du an den einen Tagen Spiele und an den anderen Training, das eineinhalb bis zwei Stunden dauert. Wenn man aber verletzt ist, dann hat man die ganze Zeit etwas zu tun – Behandlung, dann Training, dann wieder Behandlung, dann eine regenerative Einheit usw. Der Tag wird viel, viel länger auf jeden Fall.
Wie ist es eigentlich, bei einem Spitzenklub zu spielen? Lauten vor einem Saisonbeginn in Kiel die Ziele immer gleich - alles gewinnen?
Ja, das ist halt so. Das ist ein Verein, wo man über diese Sachen mittlerweile eigentlich gar nicht mehr so richtig spricht. Also für die Spieler, die hier herkommen, ist klar, dass du jedes Jahr darum kämpft, viel zu gewinnen. Und wir reden viel mehr darüber, wie wir uns in dieser Position bringen.
Da darf man also nicht zart besaitet sein. Wie geht man eigentlich mit diesem Druck um?
Wenn du Sportler bist, dann musst du lernen mit dem Druck umzugehen, weil das einfach dazugehört. Davon lebt man am Ende des Tages, vor allem, wenn man eben ständig an der Spitze sein möchte. Irgendwann nimmt man ihn gar nicht mehr so wahr. Dieser Druck, ist ja das, was einen eigentlich nach vorne bringt. Viele reden negativ darüber, aber ich sehe ihn als etwas Positives.
Sie leben seit fünf Jahren in Kiel. Wie deutsch sind Sie inzwischen geworden?
(Lacht) Ganz sicher ist es so, dass ich sprachlich einige Sachen übernommen habe. Ich habe eigentlich geschworen, dass ich versuchen werde, mir so wenig Hochdeutsch wie möglich anzueignen. Es ist mir leider nicht ganz gelungen. Wenn ich aber dann ein, zwei Wochen in Wien oder bei der Nationalmannschaft bin, dann kommt das Wienerische sehr, sehr schnell wieder zurück.
Was aus Wien geht Ihnen - abgesehen von der Familie - am meisten ab?
Schwer zu sagen. Ich habe mich mittlerweile in Kiel wirklich gut eingelebt und genieße dieses entspannte, stressfreie Leben außerhalb der Wohnung. Am Anfang ist mir das in dieser Stadt mit 250.000 Einwohnern abgegangen, das Großstadt-Feeling. Ansonsten fehlen mir hier die verschiedenen Möglichkeiten, die Wien bietet - ob es jetzt der Prater oder coole Lokale sind. Was ich aber wirklich vermisse, ist das Wetter, das in Wien deutlich besser ist.
Eigentlich sind Sie auch ein Gastarbeiterkind. Haben Sie sich jemals so gefühlt?
Aus der heutigen Sicht: Auf keinen Fall! Ich habe das große Privileg, mittlerweile Kapitän der österreichischen Handball-Nationalmannschaft zu sein. Und ich habe das Gefühl, wenn ich in Österreich bin, dass ich auf jeden Fall als Österreicher gesehen werde. Und es ist nicht so, dass in der Handball-Welt jemand, der über mich spricht an meinen Migrationshintergrund denkt.
In Ihrer Geburtsurkunde haben Sie als Geburtsort Tunis stehen. Wie lautet die Geschichte der Familie Bilyk?
Meine Eltern kommen beide aus der Ukraine. Dort begann auch die Profisportler-Karriere meines Vaters, der Handball-Goalie war. Eine Zeit lang spielte er in der tunesischen Hauptstadt, wo ich auf die Welt kam. 1999 kam Papa nach Wien, wo er bei den Fivers anheuerte. Ein Jahr später folgte der Rest der Familie, also meine Mama, meine Schwester und ich.
Haben Sie eine Theorie dafür, warum die Menschen aus Ost- bzw. Südosteuropa in allen Ballsportarten so gut sind?
Ich glaube einfach, dass der Sport allgemein einen ganz anderen Stellenwert hat. Es ist einfach etwas unglaublich Besonderes in diesen Ländern - Sport zu betreiben und vielleicht irgendwann in der Nationalmannschaft zu spielen. Ich denke, das hängt einfach damit zusammen, dass etwa die Leute vom Balkan sehr emotional sind, was dieses Thema einfach angeht - und sehr patriotisch. Es gibt, glaube ich, nicht viel, was größer ist, als dann zum Beispiel für die kroatische oder serbische Nationalmannschaft zu spielen. Die Kinder werden dort früh in die Halle oder ins Stadion mitgenommen und bekommen sehr früh mit, wie das abläuft und haben entsprechend früh auch ihre Vorbilder. Und dann entwickelt sich das ganze Stück für Stück.
Sie sind ein in Tunis geborener Wiener auf Gastarbeit in Deutschland? Gibt’s einen Teil von Ihnen, der ukrainisch geblieben ist?
Ja, sicher. Für mich ist das vor allem meine Familie. Die Wurzeln kann und sollte man auch niemals vergessen. Also das gehört zu meinem Leben dazu. Für mich persönlich ist es eigentlich nichts Besonderes mehr, aus einem Land zu kommen und dann in einem anderen aufzuwachsen. Das sollte mittlerweile etwas Normales sein, weil sich auch das Leben verändert hat. Das ist nicht so wie es vor 20, 30, 40 Jahren war. Und das ist auch gut so.
War das eigentlich jemals eine Option, für die Ukraine zu spielen?
Ja, das war auch eine Option. Ich hab mir ja auch länger darüber Gedanken gemacht. Am Ende des Tages habe ich mich dann für Österreich entschieden und zwar einfach aus dem Grund, weil ich meine ganze Kindheit bzw. Jugendzeit da verbracht habe. Österreich hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Deswegen war das für mich einfach auch eine Frage des Respekts. Ich möchte da etwas zurückgeben - ohne meine ukrainischen Wurzeln komplett auf die Seite zu packen.
Sind Sie heute noch auf Draht zur Ukraine?
Klar, auf jeden Fall. Also meine Oma lebt noch dort, dazu meine Onkel, Tanten, Cousins und der Taufpate. Leider herrscht in Donezk, wo ich herkomme, seit Jahren eine schwierige Situation. Der Kontakt zu der Familie ist zwar da, nur ist es sehr schwer für mich persönlich dort hinzukommen.
Verfolgen Sie die Situation dort regelmäßig?
Ich telefoniere eigentlich jeden Tag mit meiner Oma, die mir immer wieder über die aktuelle Lage berichtet. Niemand wünscht sich das, dass es so läuft, wie es gerade tut. Ich hoffe zwar, dass sich die Lage bald bessern wird, doch leider sieht es momentan nicht danach aus.
Der Konflikt in der Ukraine zieht sich in die Länge. Mittlerweile hat man das Gefühl, dass er durch andere Brandherde in Vergessenheit geraten ist …
So ist es oft. Es gab eine Zeit, in der das Thema mit der Ukraine und Russland sehr präsent war. Jetzt ist das ein bisschen unter den Teppich gekehrt worden. Das ist eigentlich nicht gut. Deswegen versuche ich auch immer wieder, die Leute einfach daran zu erinnern. Über solche Dinge sollte man sprechen.
Spüren Sie eine gewisse Hilflosigkeit?
Klar! Manchmal ist es auch schwierig, den Leuten die Situation bei uns zu erklären. Man erwischt auch sich selber sehr oft fragen: Was passiert da eigentlich? Wo beginnt und wo endet das Übel? Das ist eher das, was mir dann größere Sorgen bereitet. Es ist einfach so viel Korruption im Spiel. Der eine sagt, dass sei die Schuld der Ukraine, der andere schiebt den Russen die Schuld zu. Das ist eher das, was mir dieses Gefühl von Hilflosigkeit gibt.
Werfen wir zum Schluss einen Blick in die ferne Zukunft. Wo sehen Sie sich in 10-15 Jahren, nach dem Karriereende?
Ich bin eigentlich nicht der Mensch, der so weit in die Zukunft schaut. Weil ich weiß, dass im Sport einfach auch alles passieren kann. Wenn man mich jetzt so fragt: Es ist sicher der Plan, zurück nach Österreich kommen und da zu leben. Das Leben hat mir aber schon oft gezeigt, dass man sich für Überraschungen bereit halten sollte.
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