Der große Kater und ein Hoffnungsschimmer nach dem Westbalkan-Gipfel
"Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. So lautet in Kürze die Bilanz des am Donnerstag in Brüssel abgehaltenen Westbalkan-Gipfels", schrieb die Deutsche Welle (DW) wenige Stunden nach dem Treffen der Regierungschefs, der für die Region historisch hätte werden können. Es kam aber ganz anders. "Ein schlechter Tag für den Westbalkan", titelte das Medium am Tag danach. Ein Tag, der in der gesamten Region im Zeichen des großen Gipfel-Katers steht.
Die sechs Nein in den Anfangszeilen des DW-Artikels beziehen sich auf die nicht erfüllten Erwartungen, die für die Region zukunftsweisend sind. Denn vorerst wird es zu ...
- ... keinem Beginn der Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien kommen.
- ... keinem Beginn der Beitrittsverhandlungen mit Albanien kommen.
- ... keiner Liberalisierung des Visumregims für Staatsbürger:innen Kosovos kommen.
- ... keinen Kandidatenstatus für Bosnien und Herzegowina geben.
- ... keinen Fortschritten in Beitrittsverhandlungen mit Montenegro kommen.
- ... keinen Fortschritten in der Causa "Serbiens ablehnende Haltung gegenüber Russland-Sanktionen" geben.
Wie unberechenbar aber der Balkan ist, zeigte sich gleich am Freitag. Denn das bulgarische Parlament hat sich für eine Aufhebung des Vetos der bulgarischen Regierung gegen den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien ausgesprochen. Die Abgeordneten stimmten mehrheitlich für einen entsprechenden Beschluss, der allerdings auch Bedingungen enthielt. Die Regierung wurde damit beauftragt, den Vorschlag der französischen EU-Ratspräsidentschaft zur Beilegung des Streits zwischen den beiden Nachbarländern anzunehmen.
Am Donnerstag lauteten die Reaktionen der dem Treffen beiwohnenden Regierunsgschefs noch ernüchternd. "Obwohl ich von diesem Summit nichts erwartet habe ..." Mit diesen Worten eröffnete Serbiens Präsident Aleksandar Vučić die anschließende Pressekonferenz, hielt sich aber ungewohnt zurück, was die Kritik an der EU angeht. Stattdessen bedankte sich Vučić "bei europäischen Kollegen, die Geduld bewiesen" und betonte, dass man sich gemeinsam auf eigene Stärken besinnen wolle.
"Ich denke, wir werden Schwierigkeiten gemeinsam lösen können, wie die, die Nordmazedonien auferlegt wurden. Wir wollten uns selbst um unsere Region kümmern, das war die Idee. Mir ist klar, dass Dimitar (Kovačevski, Nordmazedoniens Premier, Anm.) und Edi (Rama, Albaniens Premier, Anm.) frustrierter sind als ich, aber ich denke, dass sich die Dinge bis September zum Besseren wenden können", sagte Vučić.
"Die Europäische Union tut mir leid"
Aus ihrem Frust konnten die Ministerpräsidenten Albaniens bzw. Nordmazedoniens Edi Rama und Dimitar Kovačevski wahrlich keinen Hehl machen. "Die Europäische Union tut mir leid. Sie ist in einem viel schlechteren Zustand als wir. Ich hoffe, wir können ihr helfen", teilte Rama bei der Pressekonferenz mit viel Sarkasmus aus. Ähnlich verärgert zeigte sich Kovačevski: "Ich werde ganz offen sein. Was hier geschehen ist, das ist ein schwerer Schlag für die Glaubwürdigkeit der EU." Immerhin dürften beide Staatsmänner nach den Ereignissen in Bulgarien positiver gestimmt sein.
Harte Worte fand auch der serbische Innenminister Aleksandar Vulin. Die EU habe mit ihren jüngsten Beschlüssen gezeigt, dass der Kriegszustand zu einer wesentlichen Voraussetzung für den Beginn von Verhandlungen geworden sei. "Die EU ist bis gestern kein Militärbündnis gewesen, nun zeigt sich aber, dass die Kriegsbeteiligung der Ukraine ausreicht, um Verhandlungen aufzunehmen", wird Vulin in einer Aussendung des serbischen Innenministeriums zitiert.
Von Nichts komme Nichts
Im Gespräch mit dem serbischen Staatssender RTS äußerte die Präsidentin des serbischen Zentrums für Außenpolitik Suzana Grubješić Verständnis für den Unmut der Staatsmänner. Die Region habe beim Treffen in Brüssel nichts bekommen. Zuvor sei ihr allerdings auch nichts angeboten worden, lautet die Einschätzung der Expertin. "Ich hoffe, dass dies das letzte Mal ist, dass so etwas passiert, und dass wir am Ende des Jahres diese so oft erwähnte Beschleunigung des Beitrittsprozesses erwarten können, sowohl für einzelne Länder als auch für die Region als Ganzes. Das wäre nach all den Jahren das einzig Faire", erklärte Grubješić. Einen positiven Aspekt sah sie in Brüssel dennoch, nämlich einen starken, gemeinsamen Auftritt der Staatschefs Serbiens, Nordmazedoniens und Albaniens.
Das sei nicht immer so gewesen, dass man gemeinsam und lautstark für eine Sache kämpfe. "Noch besser wäre es, wenn die ganze Region mit einer Stimme spräche, ein solches Vorgehen hätte mehr Wirkung", ist sich Grubješić sicher.
"Die Westeuropäer wollen den Balkan nicht in der EU haben"
Keinen Zweifel daran, was die EU tatsächlich vom Westbalkan will, haben die Balkan-Medien. "Die Westeuropäer wollen den Balkan nicht in der EU haben", titelt das serbische Portal Blic.rs und bezieht sich dabei auf Timothy Less, einen Cambridge-Professor, den man eigens zu diesem Anlass interviewt hat. In den Titel packte das Portal auch einen weiteren Sager des Professors: "Sie (Westeuropäer, Anm.) wollen eine Gemeinschaft reicher Länder, die dieselben Werte teilen und keine Armen und Problemkinder". Die EU-Erweiterung sei laut ihm schon immer eine politische Frage gewesen und wird es auch bleiben.
Die bosnische Zeitung Nezavisne novine hat derweil bereits Sündenböcke für die ablehnende Haltung der EU gegenüber einer Beitrittskandidatur Bosnien-Herzegowinas ausfindig gemacht. "Gegen Bosniens Kandidatur waren Deutschland, die Niedelande und Frankreich: Die stärksten EU-Länder schlossen die Schranken", titelt das Blatt. Als Gründe dafür wird unter anderem auch die Uneinigkeit bosnischer Spitzenpolitiker in etlichen Angelegenheiten genannt.
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