Boris Nemšić: "Der Name ist egal, solange die Leistung stimmt"
Der ehemalige Telekom-CEO spricht über seine Balkanwurzeln und seine Karriere, den globalen Wettbewerb, das gemeinsame Zuhause namens Europa und die Fehler der Politik
Boris Nemšić mit dem Handball in der Hand - das ist ein Bild, das man nicht gewohnt ist. Der Top-Manager, der bis Anfang 2009 CEO der Telekom Austria Group gewesen war, hat mit 65 nicht etwa den Telefonhörer abgegeben bzw. das Geschäftsfeld gewechselt. Einen seiner seltener gewordenen Wien-Besuche nutzte der gebürtige Bosnier, der seit mittlerweile zehn Jahren in Dubai hauptgemeldet ist, aber für einen Auftritt sportlicher Natur. Wenn auch nicht beruflich, ist Nemšić Österreich verbunden geblieben. So fungiert der international anerkannte Mobilfunk-Experte immer noch als Präsident der österreichischen Handball-Ligen.
KURIER: Warum eigentlich Handball?
Boris Nemšić: Handball ist meine Jugendliebe. Nachdem ich der jüngste und auch der kleinste in der Klasse war, haben sie mich natürlich ins Tor gesteckt. Ich mochte zwar auch Fußball, aber dort war mir das Tor zu groß, also blieb ich beim Handball.
Gab es jemanden in der Familie, der als sportliches Vorbild diente?
Mein Onkel war ein Spitzen-Leichtathlet. Er brachte mich auch zum Handball. Nachdem er ein Diskus- und Speerwerfer war, können Sie sich gut ausmalen, wie es mir im Tor ging, als er mich auf die Probe stellte (lacht).
Wie hoch ist der Stellenwert von Sport am Balkan, verglichen mit dem in Österreich?
Das ist eine sehr gute Frage, bei der man beispielsweise auch Skandinavien dazunehmen sollte. Dort haben die Kollektivsportarten nicht nur eine Tradition, sondern gehört irgendwie zum "Lauf der Dinge". Wir, Ex-Jugoslawen, sind sehr gesellig und neigen dazu, Gemeinschaften zu bilden, die wiederum im Sport daheim sind. Individuelle Sportarten verlangen einen anderen Zugang, mit einem starken Fokus auf sich selbst und den Individualismus. Das ist nicht unser Ding. Wir am Balkan sind sozusagen Herdentiere. Dort wächst man mit Ball am Fuß bzw. in der Hand auf und nicht im Fitnessstudio.
Boris Nemšić steht nicht mehr im Tor, auch in Österreich ist er immer weniger zu Gast ...
Nein, in Wien bin ich nicht zu Gast, sondern daheim! Dank meines Berufes - das Telekommunikationsgeschäft ist überall gleich, daher global - bin ich viel unterwegs, auf der ganzen Welt. Meine Karriere hat mich in gewisser Weise nach Österreich geführt, aber auch aus Österreich entführt. Ich war zuerst drei Jahre in Russland, die letzten zehn Jahre arbeite ich in Dubai. Wenn ich in Wien bin, dann ist es meiner Familie und Freunden wegen.
Wie oft sind Sie denn in Wien?
Es sind immer ein paar Tage im Monat, allerdings in unregelmäßigen Abständen. Ach ja, wenn es mir die Zeit erlaubt, schaue ich mir immer ein Handballmatch an (lacht). Was meine Arbeit angeht: Ja, sie hat wenig Österreich-Bezug.
Und die Familie?
So wie es heutzutage mit der Familie halt ist: Die Kinder arbeiten von Wien über Berlin bis London. In Wien mündet irgendwie alles zusammen, hier ist unser Zuhause.
Es sind aber nicht überall die Familien so auf der Welt zerstreut, wie das bei Familien vom Balkan der Fall ist ...
Auf unsere Balkanwurzeln sollte man zwar stolz sein, der Balkan ist aber nichts Besonderes und nicht von Gott gegeben. Dasselbe gilt übrigens auch für Österreich. Wir leben alle in einem kleinen Europa, unsere einzige Chance, stark zu sein, liegt darin, dieses Europa als unser Zuhause zu betrachten und es nicht zu spalten. Das Arbeiten, Reisen oder gar Migrieren in Europa ist aus meiner Sicht nicht mehr als eine Bewegung im eigenen Garten.
Viele sehen das aber nicht so locker wie Sie ...
Wir stecken in einem globalen Wettbewerb. Auf der einen Seite haben wir die fantastisch technologisch fortgeschrittenen USA, auf der anderen Seite ein unglaublich stark entwickeltes China. Wir in Europa sollten uns darauf besinnen, dass wir nur als eine Einheit mit diesen Mächten mithalten können. Das geht aber nur dann, wenn wir in Wien aufwachen, am Nachmittag in Sarajevo sind und am kommenden Morgen in London aufwachen. Nur so können wir in diesem Wettbewerb bestehen. Das ist unsere Erfolgsformel.
Sie sind einer der ersten Personen mit Migrationshintergrund bzw. mit einem "ić" im Familiennamen, die in Österreich einen derart wichtigen Job ausüben durfte. Wie war das damals für Sie?
Naja, nicht bloß mit einem "ić", sondern gleich mit einem "šić". Das hat zu unterhaltsamen Situation geführt, in denen z.B. niemand im Raum meinen Familiennamen aussprechen konnte. Das war mir aber wurscht. Darum geht es ja nicht. Es geht darum, welchen gesellschaftlichen Beitrag man leistet, wie sehr man geschätzt wird und wie man mit anderen zurechtkommt. Der Name ist unwesentlich.
Glauben Sie, dass es damals anderen wurscht war, wie Sie heißen?
Ich habe tatsächlich aufgrund meines Namens keine Unannehmlichkeiten erlebt, sowohl hier an der Uni in Wien, an der ich meinen Doktortitel erlangt habe, als auch an meinen späteren Karrierestationen in Österreich, Deutschland oder der Schweiz. Ich glaube, dass wir (vom Balkan stammenden Menschen, Anm.) mehr Vorurteile darüber haben, wie man uns sieht, als es tatsächlich ist.
„Unsere einzige Chance, stark zu sein, liegt darin, dieses Europa als unser Zuhause zu betrachten“
von Boris Nemšić
über den globalen Wettbewerb
Warum denn?
Dadurch möchten wir unsere Unzulänglichkeit unter den Teppich kehren, aber auch rechtfertigen. Der Spruch „Man erlaubt es mir nicht, weil ich von xy komme“ ist einfach realitätsfremd. Verhält man sich gegenüber seinem Umfeld fair und leistet einen gesellschaftlichen Beitrag, dann wird man entsprechend wertgeschätzt – unabhängig von seinem Namen. Ein gutes Beispiel ist der Sport: Da ist der Name egal, solange die Leistung stimmt. In der Wirtschaft ist es nicht anders.
Reichen die Qualitäten, die jemand hat, aus und braucht es doch nicht mehr?
Man muss sich schon anpassen können. Gelegentlich muss man auch mehr Fleiß an den Tag legen. In erster Linie muss man aber die Sprache beherrschen. Die Wichtigkeit der Sprache kann man nicht zu stark betonen. Sprachkenntnisse sind der Schlüssel zu allem. Sie machen den Unterschied aus.
Haben Sie in der Zeit, als Sie CEO der Telekom Austria Group waren, vorstellen können, dass eines Tages eine Alma Zadić Österreichs Justizministerin werden könnte?
Naja, ich bin an diese Funktion zu der Zeit gekommen, in der in Österreich eine Regierung gebildet wurde, die ganz Europa aufgrund ihrer rechten Ausrichtung kritisierte. Und da kommt ein "šić" und wird Telekom-Vorstandsvorsitzender. Es gab zwar viele Vorurteile, die die Realität nicht abgebildet hatten. Es ist fantastisch, dass eine Alma Zadić aufgrund ihrer Qualitäten dieses Amt erlangte. Und ja: Ich habe geglaubt, dass das eines Tages möglich sein werde.
Haben Sie denn niemals über ein Politikengagement nachgedacht?
Es gab einige schüchterne Lockrufe, vor allem aus Kroatien. Ich aber bin kein Politiker, bin nicht dazu ausgebildet. Ich bin zwar eine politische Person, habe eine Meinung, wie die Gesellschaft funktionieren sollte. Ich habe aber niemals ernsthaft darüber nachgedacht, mich politisch zu engagieren. Aus meiner Sicht sollte Politik im Dienst der Menschen und nicht im PR-Dienst. Global gesehen betont die Politik meiner Meinung nach zu sehr die Unterschiede zwischen den Menschen, statt diese zusammenzubringen, zu einer Einheit zu formen. Ich bin nicht einverstanden mit Prioritäten, die Politik setzt.
Wie zum Beispiel?
Ich nehme ein simples Beispiel: den Sport. Dieser ist die bestmögliche Prävention vor möglichen Erkrankungen. Wir beschweren uns über die hohen Kosten des Gesundheitssystems, handeln aber nicht präventiv, indem wir etwa in den Sport investieren. Die Kosten für die Schäden sind aber im Endeffekt zehn Mal höher als die Präventivmaßnahmen. Das ist eine klare politische Entscheidung. Die Politik ist aber leider kurz- und nicht langfristig ausgelegt. Nicht umsonst liegt es in der Natur der Politik, dass wir alle paar Jahre wählen müssen.
Sie waren auch in Russland tätig. Wagen Sie eine Prognose, wie sich die Ereignisse in der Ukraine entwickeln könnten?
Eine Prognose lässt sich unmöglich anstellen. Das, was dort passiert, ist eine wahre Tragödie - sowohl für die Ukraine selbst, aber auch für Europa und schließlich auch für Russland. Diese Tragödie wird Russland 50 bis 200 Jahre zurückwerfen. Ein Jahrzehnte lang aufgebautes Vertrauen wurde vollkommen zerstört. Es bleibt zu hoffen, dass es keine Verrückten gibt, die irgendwelche roten Knöpfchen bedienen werden …
Wurden auch bei Ihnen Erinnerungen an den Jugoslawien-Krieg geweckt?
Selbstverständlich. Die Ursachen sind ähnlich, die Begründungen dito. Auf eine hässliche Art und Weise ähneln sich diese Konflikte. Bei mir sind die Kriegsbilder sind immer noch frisch und tun weh. Ich hoffe sehr, dass es zu einem Ausgleich der Kräfteverhältnisse kommen wird und der ganze Wahnsinn zu Ende geht.
Wann hat Boris Nemšić eigentlich vor, heimzukehren? Nach Wien oder wo auch immer hin?
Die schwierigste Frage, die ich von allen bekomme, ist diejenige nach dem „Daheim“. Das ist definitiv Wien, das ist aber auch Sarajevo und einige Orte in Kroatien, in denen ich heimisch wurde. Eigentlich sehe ich ganz Europa wie mein Zuhause. Dementsprechend bin ich immer daheim.
In Österreich
Mit 27 kam Boris Nemšić 1985 zum Studium von Sarajevo nach Wien. 1990 promovierte er an der TU Wien, arbeitete dann am Institut für Nachrichten- und Hochfrequenztechnik. 1997 bis 2009 war er bei der Telekom Austria, ab 2006 fungierte er als Vorstandsvorsitzender.
Im Ausland
2009 bis 2011 war Nemšić Vorstandsvorsitzender bei VimpelCom in Russland. Danach wurde er Partner bei Delta Partners, einer Beratungsfirma in Dubai. Der zweifache Vater ist Industry Advisor bei KKR (in London), hat diverse Aufsichtsratspositionen und eine eigene Firma in Österreich.
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