Ana Brnabić: Serbiens homosexuelle Premierministerin zwischen den Fronten

FILE PHOTO: Serbian PM Ana Brnabic holds interview with Reuters, in Belgrade
In Serbien geht derzeit die Europride 2022 über die Bühne. Nicht reibungslos, denn das Innenministerium verbot den Abschlussmarsch.

Es half alles nichts mehr. Ana Brnabić konnte den Unmut der Anwesenden bei der im Rahmen des Europride 2022 organisierten Menschenrechtskonferenz nicht besänftigen. "Ich kann keine Einstellungen akzeptieren, die Grenzen zwischen uns als Individuen schaffen, nur wegen unserer sexuellen Orientierung", sagte die serbische Premierministerin, bevor Buhrufe und Pfiffe im Saal des Belgrader Jugendzentrums dafür sorgten, dass ihre Ansprache kaum noch zu hören war. 

Die Nominierung von Ana Brnabić für den Premierminister-Posten im Jahr 2017 war eine Sensation. Denn die damals 41-Jährige wurde nicht nur die erste Regierungschefin in der serbischen Geschichte, sondern auch die erste offen Homosexuelle in der gesamten Region. Ihre Bestellung hatte sich Präsident Aleksandar Vučić allerdings gründlich überlegt: Die europäisch orientierte und wirtschaftsliberale parteilose Politikerin sollte ihm mit ihrer sexuellen Orientierung Pluspunkte bei den EU-Partnern bringen. Und unangenehme Entscheidungen der Regierung, die LGBTQ-Bewegung betreffen, an die Community tragen. Wie etwa die, dass der abschließende Marsch der diese Woche in Belgrad stattfindenden Europride verboten wurde. Aus sicherheitstechnischen Gründen, heißt es offiziell. 

"Das ist mein Kampf"

"Ich denke, es ist gut, dass wir miteinander reden. Ich bin wahrscheinlich die einzige Person, die von beiden Communitys (der LGBT- sowie der politischen, Anm.) diskriminiert wird, und die erste Politikerin in diesem Land und dieser Region, die keine Angst und Scham davor hat, der LGBT-Community anzugehören. Das ist mein Kampf", erklärte Brnabić bei der Menschenrechtskonferenz. Ihre Ansprache musste immer wieder unterbrochen werden. "Pride ist Protest", "Wir wollen unsere Menschenrechte" oder "Wir wollen Pride" riefen die Aktivisten im Publikum und pfiffen die Premierministerin aus.  

Sie forderte die Anwesenden auf, endlich mit ihrer Kritik aufhören. "Ich gebe mein Bestes. Ich habe die Sichtbarkeit der Community erhöht und verschiebe die Grenzen um mindestens einen Meter. Tut dasselbe und es wird uns allen besser gehen. Hört auf zu kritisieren", antwortete die 46-Jährige auf die Zwischenrufe. "Ich habe mir keine Sonderrechte gegeben, habe dieselben wie ihr - und ich gebe zu, das sind nicht viele. Ich bin nicht verheiratet, ich kann nicht heiraten, ich lebe in einer nicht eingetragenen Partnerschaft und kann kein Kind adoptieren".

"Niemand kann euch daran hindern, marschieren zu gehen"

Nachdem jemand im Saal dazwischenrief "Wir werden am Samstag marschieren", sagte sie: "Niemand kann euch daran hindern, marschieren zu gehen. Das ist ein grundlegendes Menschenrecht". Brnabić hob ihre Rolle bei der Europride hervor: "Wir wären heute nicht hier, wenn ich den Unterstützungsbrief nicht unterschrieben hätte. Wir gehen hier an die Grenzen, denn dies ist die erste Europride in Südosteuropa".  

Die Aktivisten warfen darauf ein, dass "ihre Polizei" die Pride verboten habe. "Ich muss ehrlich sagen, ich bin froh, dass Belgrad ausgewählt wurde, um diese Probleme zu diskutieren", wich Brnabić etwas aus. Auf Vorwürfe aus dem Publikum, der Staat habe den Schlägern aus rechtsextremen Organisationen nachgegeben, antwortete sie kurz: "Das werden wir noch sehen".

Die Veranstalter des Europride fanden es interessant, dass Brnabić ausgerechnet an dem Tag, an dem der Pride-Marsch verboten wurde, eine Konferenz über Menschenrechte eröffnete. "Zu Beginn ihrer Regentschaft hatten wir die Hoffnung, dass wir ihr einen Verbündeten haben würden, der die Lösung der Probleme unserer Community beschleunigen und den politischen Willen dazu zeigen würde. Das ist nicht passiert", sagte Marko Mihailović vom Organisationskomitee im Gespräch mit Radio Free Europe. "Nach der Nachricht über das Marschverbot fühlen wir uns schrecklich, beschämt und verängstigt. Wir hatten immer ein Problem mit Intoleranz, aber so viel ungesühnter Hass, so viel Böses, so viele wahnsinnige Äußerungen von Beamten gegen uns ist schrecklich".

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