Die Taufliege: das unterschätzte Labortier

Drosophila melanogaster ist nur zwei bis vier Millimeter lang – umso größer ist ihr Nutzen für die Wissenschaft.
Verkannt und unbeliebt – die Taufliege Drosophila melanogaster ist besser als ihr Ruf.

Für die einen nur ein ungebetener Hausgast, der seine Eier in gärendes Obst legt; für die anderen von unschätzbarem Wert, weil sie als Modellorganismus dient: die Taufliege, bekannt als Drosophila melanogaster, ist für die Wissenschaft von großem Nutzen. Höchste Zeit, das unterschätzte Insekt von seinem schlechten Image zu befreien.

Die winzige Fliege ist der heimliche Superstar unter den Labortieren. Sie gehört zur Familie der Taufliegen und wird fälschlicherweise oft als Fruchtfliege bezeichnet. Grund: Der falsche Name beruht auf der wortwörtlichen Übersetzung ihres englischen Namens "fruit fly".

Einer, der die Tiere zu schätzen weiß, ist Martin Moder, Molekularbiologe am Forschungszentrum für Molekulare Medizin Wien (CeMM). Er hat lange an Fliegen gearbeitet und erklärt, warum Drosophila melanogaster vor allem in der Genetik wichtig ist: "Ihre Erbinformation ist zu 60 Prozent identisch mit der des Menschen. Zwei Drittel aller Gene, die beim Menschen Krankheiten verursachen, sind auch bei der Fliege vorhanden. Natürlich gibt es Lebewesen, die uns deutlich ähnlicher sind, aber in der Wissenschaft wählt man immer den einfachsten Organismus, der es einem erlaubt, eine Frage zu beantworten."

Herr über Fliegen

Seinen Durchbruch verdankt das Insekt dem Genetiker William Ernest Castle. 1901 untersuchte er in seinem Labor an der Harvard University, wie sich Inzucht auf die Gene der Fliegen auswirkt. 1915 konnte der Biologe Thomas Hunt Morgan mithilfe der Fliegen erstmals feststellen, dass die Erbinformation auf Chromosomen organisiert ist.

Martin Moder ist von ihren Qualitäten als Labortiere begeistert: "Fruchtfliegen sind sehr genügsam. Sie fühlen sich wohl, wenn sie in kleinen Röhrchen wohnen, die zur Hälfte mit nährstoffreichem Agar (Algenprodukt) gefüllt sind. Nach 24 Stunden schlüpfen sie aus ihren Eiern und kriechen als Maden durch den Agar. Nach zwei bis drei Tagen verpuppen sie sich, um wenige Tage später, als ausgewachsene Fliegen, ihrem Paarungstrieb nachzukommen." Die Generationszeit von zirka zehn Tagen ist für die Forscher besonders nützlich: "Sie erlaubt es, in kurzer Zeit Versuche über viele Generationen durchzuführen, die mit komplexeren Tieren viel zu lange dauern würden", sagt Moder.

Erst kürzlich untersuchten Neurobiologen in Göttingen, wie bestimmte Synapsen – das sind Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen – im Gehirn lebender Taufliegen auf Duftreize reagieren und wie sie sich verändern. Hatten die Fliegen den Geruch von Apfelsaft länger in der Nase, veränderten sich die Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen. Die Forscher hoffen herauszufinden, wie das Gehirn gelernte Informationen in einem komplexen Netzwerk aus Nervenzellen anlegt. An der Technischen Hochschule Zürich konnten Wissenschaftler nachweisen, dass Umwelteinflüsse wie höhere Temperaturen z.B. die Augenfarben der Fliegen verändern können.

Moder arbeitete für medizinische Zwecke an Drosophila: "Ich habe zusätzlich zu einem Hirntumor-verursachenden Gendefekt weitere Gene ausgeschaltet. Dabei sollte der Tumor verschwinden, gesunde Hirnzellen aber nicht." Der Hintergedanke dabei: "Einer der Defekte, der bei Fliegen zu Hirntumoren führt, ist nämlich auch bei menschlichen Glioblastoma-Tumoren vorhanden."

Die Taufliege: das unterschätzte Labortier
Mikrobiologe Martin Moder überzeugte das begeisterte Publikum beim Science Slam-Finale mit großem kabarettistischem Talent und brandaktuellen Forschungsergebnissen
Durch die Analyse der Fliegenhirne soll eine Therapieform entstehen, die Tumore bei Menschen bekämpft, hofft Moder. Sein Forschungs-Projekt präsentierte er auch bei Science Slams – einem Wettstreit, bei dem Forscher Wissenschaft humorvoll vermitteln. 2014 gewann er im Kostüm einerDrosophila melanogasterdas Europafinale in Kopenhagen.

Fliegen-Bibliothek

Für Forschungszwecke mit den Insekten gibt es mittlerweile "Fliegen-Bibliotheken", zum Beispiel am Institut für Molekulare Biotechnologie Wien und an der Universität Zürich. In Letzterer werden tausende Tiere mit veränderten Genen in Röhrchen aufbewahrt. "Es ist so möglich, durch einfache Kreuzung die unterschiedlichsten Gen-Kombinationen zu inaktivieren. Wenn ein Wissenschaftler wissen möchte, was ein Gen tut, macht er es zuerst kaputt, um zu sehen, was passiert." Die Bibliotheken sind eine Art Datenbank, die helfen, die Ursachen von Darmkrebs oder Alzheimer zu untersuchen.

Taufliegen haben sich sogar im All als nützlich erwiesen: 1947 haben sie als erste Tiere die Erde verlassen. US-Forschern schossen sie ins Weltall, um den Einfluss der kosmischen Strahlung auf Lebewesen zu untersuchen. "Seitdem haben die tapferen Fliegen der Biologie große Dienste erwiesen, weitere Abenteuer werden mit Sicherheit folgen", ist Martin Moder überzeugt.

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