Zero Waste: Die Revolution im Mistkübel
Penny Fox zieht an dem schwarzen Metallhebel. Haferflocken rieseln durch die runde Öffnung am Ende des Containers – in einen Glasbehälter. Sie füllt das Glas bis zum Rand, dann schraubt sie den Verschluss fest auf die Flasche. Fox kauft Haferflocken und andere Lebensmittel nicht im herkömmlichen Supermarkt. Denn sie lebt Zero Waste. Mit diesem Lebenskonzept reduziert sie bewusst und gezielt Verpackungsmüll und sonstigen Abfall.
Fox, die seit 15 Jahren in Wien lebt und Gründerin der World Trash Foundation ist, versucht seit fast drei Jahren Müll zu vermeiden. In ihrer Funktion als Zero-Waste-Beraterin begleitet sie mit ihrem Verein die Event- und Partyszene auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit und weniger Müll. In der Lunzers Maß-Greißlerei im zweiten Wiener Gemeindebezirk, finden Zero Waster alles, was das Herz begehrt: Neben Nudeln, Reis, Mehl, Zucker, Bohnen, Linsen und anderen Trockenwaren, bietet der Unverpackt-Laden auch frisches Obst und Gemüse, verschiedenste Milchprodukte, Eier, Tofu, Brot und Backwaren, Nüsse und Süßigkeiten an. Nahezu nichts davon ist verpackt.
Wer etwas kaufen möchte, füllt die Ware in Einweggläser, Tupperware oder Edelstahlboxen. Einige Produkte sind bereits in recycletem Papier oder wiederverwendbaren Behältern portioniert. Etwas weiter hinten im Geschäft wird man auf der Suche nach Shampoo, Seife und anderen Körperpflegeprodukten fündig. Auch diese können Kunden in wiederverwendbare Spender pumpen und mit nach Hause nehmen.
Zu den Haferflocken gesellen sich in Pennys Einkaufskorb Linsen, Bohnen und Reis. An der Theke bestellt die gebürtige Deutsche einen halben Laib Brot, den sie in einer Stofftasche entgegennimmt. Zum Schluss macht die Wahlwienerin bei Obst und Gemüse Halt: Eine Handvoll Tomaten, zwei lose Paprika und einen kleinen Kohlkopf packt sie zu den anderen Waren.
Für die ehemalige Flugbegleiterin war der Weg zum ressourcenschonenden Alltag ein schrittweiser Prozess. Vor fünf Jahren begann sich die Deutsche mit vegetarischer Ernährung auseinanderzusetzen. Irgendwann beschloss Fox, nicht nur auf Fleisch, sondern gänzlich auf Tierprodukte zu verzichten. Durch ihre vegane Ernährung stolperte sie über die Themen Nahrungsmittelverschwendung, Umweltverschmutzung und die unfairen Produktionsbedingungen der Textilbranche – und landete schließlich beim Zero-Waste-Lifestyle.
Problemfaktor Müll
Mit ihrer Lebensart zeigen Fox und andere Zero Waster vor, wie jeder dazu beitragen kann, das enorme globale Müllaufkommen zu verringern. Pro Tag produziert die Weltbevölkerung an die 3,5 Millionen Tonnen Müll, berichtet das Fachjournal Nature. Und es ist keine Kehrtwende in Sicht. Schätzungen zufolge könnte sich diese Menge bis zum Jahr 2100 sogar verdreifachen. Neben diesem Szenario gibt es auch noch andere beunruhigende Prognosen. So wird es einer Studie der Ellen-MacArthur-Stiftung zufolge im Jahr 2050 in den Weltmeeren mehr Plastikmüll geben als Fische.
Zudem landet weltweit eines von drei Lebensmitteln im Müll. Das geht aus einer Studie der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) aus dem Jahr 2011 hervor. Spitzenreiter in puncto Mistmacher sind Industrieländer in Europa und Nordamerika – hier wird mit Abstand am meisten Abfall verursacht. Unterm Strich werden durch die immense globale Abfallproduktion wertvolle Ressourcen verschwendet und die Natur dauerhaft geschädigt. Doch Maßnahmenpolitik und nationenübergreifende Vereinbarungen reichen nicht aus, um das Müllproblem in den Griff zu bekommen – jeder Einzelne kann etwas tun. So wie Penny Fox.
Gegründet wurde die Zero-Waste-Bewegung vor rund zehn Jahren von der französischen Bloggerin und Buchautorin Bea Johnson. "Sie hat gezeigt, dass der Einzelne die Welt nicht ändern, aber etwas bewegen kann, wenn er aus Überzeugung daheim Müll reduziert", erklärt Helene Pattermann, Gründerin der Initiative "Zero Waste Austria".
Im Alltag
Für Fox bedeutet Zero Waste vor allem eins: Nachhaltigkeit auf allen Ebenen. "Ich möchte einfach so wenig Müll wie möglich verursachen und konzentriere mich dabei nicht nur auf den klassischen Einkauf, sondern versuche das Konzept überall im Alltag anzuwenden – so gut es eben geht."
Wie weit das gehen kann, zeigt sich bei einem Rundgang durch ihre Wohnung: In ihrer Küche findet man keine klassisch verpackten Lebensmittel, sondern transparente Behälter mit abgefüllten Nahrungsmitteln. Teeblätter sind in Einmachgläsern sortiert und der Espressokocher kommt ohne Filter oder Kapseln aus. Shampooflaschen und Duschgeltuben am Badewannenrand? Fehlanzeige. Stattdessen liegen dort auf flachen Steinen Haarseifen, dahinter steht eine Glasflasche, in der Fox nach dem Haarewaschen eine Essigrinse zur Pflege mischt.
Zur Haarentfernung benutzt sie einen Rasierhobel aus Edelstahl mit langlebigen Klingen. Die Zähne werden mit selbstgemachtem Zahnpulver und einer Bambusbürste gereinigt. Für das Pulver mischt sie Natron, Heilerde und Xylit zu gleichen Teilen mit einem Tropfen Pfefferminzöl. Zum Abschminken verwendet sie selbstgenähte Frotteepads, als Deodorant kommt ein Wasser-Natron-Gemisch aus einem befüllbaren Dosierspender zum Einsatz.
Auch normale Putzmittel sucht man in der Wohnung der überzeugten Zero Wasterin vergeblich. Oberflächen, Fliesen und Böden reinigt sie mit selbstgemachten Mixturen, deren Zutaten – darunter Soda, Zitronensäure, Kernseife, Essigessenz und Lavendelöl – so mancher noch aus dem großelterlichen Haushalt kennt.
Globale Auswirkungen
Die Rückbesinnung auf bewährte Hausmittel und einen wertschätzenden, sparsamen Umgang mit Konsumgütern sieht Fox als wichtige Komponenten der Müllervermeidung. Es sei utopisch zu glauben, dass die eigene Kaufentscheidung in einer globalisierten Gesellschaft noch Privatsache sei – "wir haben nur verlernt, eine Verbindung zwischen individuellem Konsumverhalten und den globalen Auswirkungen herzustellen."
Mittlerweile gibt es, zumindest in städtischen Regionen, für jedes Alltagsbedürfnis ein Zero-Waste-Angebot, weiß Helene Pattermann, die sich seit 2015 mit "Zero Waste Austria" für eine Bewusstseinsbildung in puncto Müll und Müllvermeidung einsetzt. "Am Land ist es teilweise noch schwieriger Müll zu reduzieren, obwohl man dort theoretisch beim Bauern, am Markt oder in kleineren Geschäften einkaufen kann, wo an Verpackungen gespart wird und mitgebrachte Behälter besser angenommen werden. Allerdings hat nicht jeder, der am Land lebt, einen Ab-Hof-Laden nebenan."
In den vergangenen Jahren hat sich im Bereich der Müllreduktion europaweit auf privater, unternehmerischer und kürzlich auch auf gesetzlicher Ebene viel getan, weiß die Wienerin: "Zero Waste Austria ist mittlerweile Teil von Zero Waste Europe, ein Netzwerk von Zero-Waste-Organisationen. Zusammen wird viel vorangetrieben." So habe das Netzwerk maßgeblich zu diversen Gesetzesänderungen beigetragen, die aktuell in unterschiedlichen Ländern zur Vermeidung von Plastikmüll verabschiedet wurden.
Dank dieser Entwicklungen müsse man heute auch nicht mehr "vollkommen abseits von Konsum als Aussteiger leben, nur damit man weniger Müll produziert". Allerdings bedarf es Pattermann zufolge auch in Zukunft weiterer struktureller Änderungen, "damit es für Einzelpersonen leichter wird, Abfälle zu vermeiden".
Einstiegshilfen
Zero-Waste-Einsteigern empfiehlt Pattermann, die seit vier Jahren annähernd müllfrei lebt, gleich aufs Ganze zu gehen: "Manchmal ist es gut, einen radikalen Versuch zu starten. Solange man es halbherzig versucht, ist es schwierig, Erfolge im Mülleimer zu sehen." Anfangs biete sich an, in einem Lebensbereich anzusetzen, in dem es leichtfällt, von alten Gewohnheiten wegzukommen. "Wichtig ist zu bedenken, dass nicht jeder extrem leben muss und die Umstellung nicht von einem Tag auf den anderen geht."
Dem stimmt auch Penny Fox zu: "Es gibt ein paar ganz grundlegende Dinge, die jeder machen kann. Auf Küchenrolle zu verzichten beispielsweise, oder sich mit Stofftaschentüchern auszustatten und gewisse Produkte im Unverpackt -Laden zu kaufen."
Dass der Einkauf in Unverpackt-Geschäften nicht immer preisgünstig ist, bestätigen beide Frauen. "Man kann allerdings davon ausgehen, dass man für die einzelnen Lebensmittel oder Waren mit weniger Verpackung und längerer Lebensdauer zwar mehr Geld ausgibt, dafür aber automatisch weniger kauft und auf bestimmte Produkte verzichtet, weil sie nicht mehr mit dem Lebensstil konformgehen", argumentiert Pattermann.
Tatsächlich sparen könne man, indem man besser und vorausschauend plant, öfter selbst kocht und weniger wegwirft – und durch Second-Hand-Anschaffungen, etwa bei Möbeln oder Kleidung. Auch durch diese Form des Einkaufens kann sich der Konsumkreislauf sinnvoll und nachhaltig schließen.
An alle, die schon länger mit dem Gedanken spielen, ihren Abfall zu reduzieren, richtet Fox einen Appell: "Es ist wirklich an der Zeit, Verantwortung zu übernehmen. Ich selbst habe irgendwann nur mehr Müll gesehen, sowohl auf der Arbeit, als auch im Supermarkt und auf der Straße. Und ich habe erkannt, dass es an uns liegt, das zu ändern." Hürden und Herausforderungen begegnen ihr heute nur noch in einigen wenigen Bereichen, etwa bei Medikamenten, Kontaktlinsenflüssigkeit, Geschirrspültabs und der Haustierhaltung, denn Fox besitzt zwei Katzen. Auch Schokolade und Kokosmilch landen ab und an verpackt in ihrem Kühlschrank.
Aus der Zeit vor ihrem Konsumwandel vermisst Fox nichts. Im Gegenteil: "Ich bin der erfüllteste Mensch, weil ich hinter allem stehe, was ich tue – das entschädigt mich für alles."
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