Stadtwandern einmal anders: Wiens kleines Fenster zur Welt
Die brütende Sommerhitze liegt wie ein Sog über Wien - wer ihr entfliehen will, sucht Abkühlung an der Donau, im Schwimmbad oder im Wald.
Schattige Grünflächen hat die Bundeshauptstadt reichlich zu bieten: den Wiener Wald, den Nationalpark Donauauen, Parks und Wiesen, die sich über verschiedene Bezirke erstrecken. Erkunden kann man die Natur Wiens auf eigene Faust oder aber man schließt sich einer Wandergruppe an.
Eine solche Initiative - mit dem Namen dunya, zu Deutsch Welt - hat Sarah Pallauf vor vier Jahren ins Leben gerufen, allerdings mit einem Twist:
Pallauf leitet Gruppen mit unterschiedlichen Backgrounds, mit dem Ziel sich auszutauschen, sowie Sprachen und Menschen kennenzulernen. In Kooperation mit dem Verein Diversoviel wandert sie von Juni bis Oktober unter dem Slogan "Walk, Talk & Eat Together" in Wien und Umgebung.
"Mir geht es um die Begegnung von Menschen, die sonst im Alltag keine Berührungspunkte miteinander haben", erzählt Pallauf gegenüber dem KURIER. Die ausgebildete Wanderführerin lebte ein Jahr in Jordanien, dort war sie selbst Teil einer Wandergruppe. "Für mich war das damals die beste Möglichkeit, um mit Menschen in Kontakt zu treten, die Sprache und das Land kennenzulernen", sagt Sarah Pallauf. Nach ihrer Rückkehr nach Wien beschloss sie, ein ähnliches Konzept für die Bundeshauptstadt auszuarbeiten: Bei den Wandertreffs sollen Menschen, die schon länger in Wien leben, mit Menschen zusammenkommen, die erst vor Kurzem nach Wien gezogen sind.
Wandern gegen die Einsamkeit
An einem Sonntag Mitte Juli gegen 14:00 Uhr steht eine Gruppe von zehn Personen, ausgerüstet mit Wanderschuhen, Rucksäcken, Sonnenbrillen und Trinkflaschen, vor dem Eingang zum Schlosspark Pötzleinsdorf im 18. Gemeindebezirk. Im Schatten der Bäume wartet sie darauf, dass die letzten Teilnehmer aus der Straßenbahnlinie 41 aussteigen, um gemeinsam loszuziehen.
"Beim Gehen sind andere Gespräche möglich als im Sprachkurs. Viele Themen ergeben sich unterwegs, durch das, was man in der Natur wahrnimmt, durch das gemeinsame Voranschreiten, durch die gemeinsame Jause", so Pallauf, die die Wandergruppe im gemütlichen Tempo vorantreibt.
An den Wanderungen nehmen etwa 12 bis 15 Personen teil, manche, wie Odalis Tejerina aus Bolivien, die bereits zum vierten Mal mitgeht, kommen immer wieder. Sie lebt seit 23 Jahren in Wien und ist zufällig über eine Website auf das Projekt gestoßen. "Ich habe nach einer Möglichkeit gesucht, Menschen anderer Herkunft kennenzulernen, weil ich mich in Wien, obwohl ich schon so lange hier lebe, ein bisschen ausgeschlossen fühle", erklärt Tejerina, die in ihrer Heimat Volkswirtschaft studiert hat und in Wien in einer Steuerberatungskanzlei arbeitet.
Für sie sind die Wanderungen – und der dort entstehende Austausch – wie ein kleines Fenster zu anderen Welten. "Ich bin ein offener Mensch. In Wien ist das Gegenteil der Fall, die Leute sind zuerst skeptisch und öffnen sich erst langsam", sagt Odalis Tejerina. Die Wanderungen sieht sie auch als Chance, um ihre Einsamkeit im Alltag ein wenig zu kompensieren.
Kein alpiner Verein
Die sommerliche Hitze ist unter dem Kühl der Bäume kaum zu spüren, nur die Gelsen scheinen sich nicht mit den Wanderern anfreunden zu wollen. Mit Gelsenspray werden sie vertrieben. Sind es oft sprachliche Barrieren, die Menschen mit Migrationshintergrund an der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hindern, so scheinen sie hier zu fallen. Englisch, Arabisch, Deutsch, Spanisch und Türkisch - in fünf Sprachen unterhalten sich die Teilnehmer auf dem breiten, steinigen Weg Richtung Neuwaldegg. Auch Sarah Pallauf spricht mehrere Sprachen: Italienisch, Französisch, Englisch und Arabisch. "Als ich in meinem Umfeld erzählt habe, dass ich Türkisch lerne, wurde ich oft nach dem Warum gefragt. Sprachen haben leider unterschiedliche Werte, ich kann das zwar nicht mit einer kleinen Wandergruppe ändern, aber ist ein kleiner Beitrag", erzählt Pallauf.
Bei den Wanderungen sind auch "echte" Wiener dabei, denn viele würden niemanden aus Afghanistan oder Syrien kennen und seien einfach neugierig. "Wir sind nicht von einem alpinen Verein, wir sind nicht 60 plus, sondern wir sind eine sehr bunt gemischte Wandergruppe. Das macht den Austausch so interessant", sagt Sarah Pallauf. Auch Mustafa Barlas, der seit sieben Monaten in Wien lebt, hat sich der Gruppe angeschlossen. "Mir geht es darum, soziale Aktivitäten zu finden, wo man sich bewegen und Leute kennenlernen kann", sagt Barlas, der auf diesem Weg hofft, neue Freundschaften knüpfen zu können.
Nach einer Wanderung von ungefähr 1,5 Stunden legt die Gruppe eine Pause ein. Auf der Wiese wird eine Picknickdecke ausgebreitet, diverse Snacks und Früchte verteilt, im Hintergrund stimmt Mustafa Barlas ein Lied ein. Auch Mohammad Sawas aus Syrien, der seit neun Jahren in Österreich lebt, ist heute zum fünften Mal dabei. "Die Wanderungen sind unterschiedlich, manchmal ist die Natur interessanter, manchmal aber die Menschen", so Sawas.
Der Verein hat seinen Sitz im zweiten Wiener Gemeindebezirk und wird von Hayfa Bejaoui und Stefanie Maczijewski geleitet.
Schwerpunkte ihrer Arbeit sind Bildung, Inklusion und die Unterstützung marginalisierter Gruppen.
Gemeinsam mit Sarah Pallauf organisieren sie von Juni bis Oktober Wanderungen in Wien und Umgebung.
Nummern tauschen
Nach der Pause geht es bergabwärts, vorbei an Wiesen und einem kleinen Teich. Die Wanderer tauschen sich angeregt aus und wechseln ihren Partner im Gehen. Es sind Gespräche über den Alltag: Eine Teilnehmerin erzählt von den Schwierigkeiten einer Single-Frau, allein Reparaturen in der Wohnung durchzuführen, ein anderer macht ihr Mut und bietet seine Hilfe an. "Du kochst für mich und ich helfe dir beim Möbelrücken", versucht der Wanderer einen Deal abzuschließen.
Eines der schönsten Erlebnisse für Sarah Pallauf war die Begegnung mit Alex aus Damaskus und Robert aus Innsbruck. Beide stellten fest, dass sie dasselbe studieren und gründeten daraufhin eine Lerngruppe. "Mein Ziel ist es, dass die Kontakte, die beim Wandern entstehen, auch in den Alltag einfließen", sagt Pallauf. Je näher die Gruppe der Straßenbahnhaltestelle Neuwaldegg kommt, desto mehr Pläne für weitere Treffen werden geschmiedet. Am nächsten Tag wird im Verein Diversoviel gekocht, einige sagen zum Abendessen zu, eine junge Frau und ein junger Mann tauschen Nummern aus, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Bei der Straßenbahnlinie 43 angekommen, ist nicht nur das Ziel der Wanderung erreicht, sondern auch die Mission von Sarah Pallauf erfüllt: Menschen sind beim Wandern ins Gespräch gekommen.
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