Wie sich das Wunderwerkzeug Hand entwickelte

Nur der Mensch kann seine Hände derart vielfältig einsetzen.
Die menschliche Hand wurde im Lauf der Evolution zu einem vielfältigen Werkzeug, das in der Natur einzigartig ist.

Wir können einen dünnen Zwirn in ein kleines Nadelöhr fädeln, uns an einer Stange festhalten oder einen schweren Stein werfen: Unsere Hand ist eine Allzweckwaffe, und meist sind wir uns nicht bewusst, wie sie unseren Alltag bestimmt.

Ganz pathetisch gesagt: Sie macht den Menschen erst zum Menschen – denn im Tierreich gibt es nichts Vergleichbares, wie die Anthropologen Sylvia Kirchengast von der Universität Wien weiß. „Selbst unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen, können die Hand nicht so vielfältig einsetzen wie wir.“ Und das ist schon lange so.

Wie sich das Wunderwerkzeug Hand entwickelte

Schimpansen sind geschickt, aber nicht so sehr, wie der Mensch

Lucys gebogene Hand

Fossilienfunde zeigen, dass „die Entwicklung der Hand ganz am Beginn unserer Menschwerdung stand“,erläutert die Anthropologin. Bereits Lucy (für Wissbegierige: ein Australopithecus afarensis) hatte vor 3 Millionen Jahren Hände, die unseren sehr ähnelten – sie waren nur etwas gebogener, weil Lucy noch mehr kletterte als der moderne Mensch.

Wie sich das Wunderwerkzeug Hand entwickelte

Ohne Hände wäre die Jagd mit Speeren nicht möglich gewesen.

Auch schon ihr Vorfahre, der ardipitecus ramidus, konnte vor 4,5 Millionen Jahren seine fünf Finger flexibler nutzen als die heutigen Schimpansen.

Zweibeiniger Gang förderte Hand-Entwicklung

Unsere Vorfahren folgten vor Millionen Jahren nämliche dem Trend, sich nicht mehr nur auf vier, sondern ab und zu auf zwei Beinen zu bewegten. Somit hatten sie die oberen Extremitäten frei.

Hände und Füße: Ähnliche Struktur

Ursprünglich waren Arme und Beine unserer Vorfahren gleich aufgebaut, was sich noch heute zeigt: „Nicht nur, dass Hände und Füße die gleiche Anzahl an Knochen haben – sie haben auch eine ähnliche Struktur“, sagt Kirchengast.

Bahnbrechender Präzisionsgriff

Eine bahnbrechende Entwicklung war der Präzisionsgriff: Der Mensch konnte plötzlich den Daumen auf den Zeigefinger legen und so kleine Dinge in der Hand halten und formen.

Überhaupt spielt der Daumen eine zentrale Rolle: „Er ist länger, beweglicher und kräftiger als beim Schimpansen. Die restlichen Finger sind im Vergleich kürzer, der Handteller größer. Das ermöglicht, dass er damit höchst unterschiedliche Dinge tun kann.“

Vorteile in der Evolution

Die so grandios gestaltete Hand verschaffte dem Menschen wesentliche Vorteile: „Er konnte einen Stock halten und ihn führen, sodass er in der Lage war, sich besser zu verteidigen. Zudem hat er Werkzeuge nicht nur nutzen, sondern auch so filigran anfertigen können, wie es nötig war.“ Mehr noch: Der Mensch konnte das Kind liebevoll berühren und besser pflegen.

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Die Greiffunktion ermöglichte es, Werkzeug zu halten.

Die Welt im wahrsten Sinn begreifen

Nicht zuletzt hat die Hand den Menschen dabei geholfen, die Welt im wahrsten Sinn des Wortes zu begreifen. „Dass die Wörter greifen und begreifen einen ähnlichen Wortstamm haben, hat natürlich eine Bedeutung“, sagt die Anthropologin.

„Wir haben einen guten Tastsinn, mit dem wir die Form von Dingen verstehen. Und manchmal lernt man Inhalte leichter, wenn man sie mit der Hand schreibt. Diese Bewegung und das Denken spielen zusammen.“

Einheit aus Denken und Tun

Dass Denken und Tun zusammen gehören, liegt in der Logik der Evolution: Je mehr sich die Hand anatomisch veränderte, desto größer und komplexer wurde das Gehirn. „Ein Beispiel für feine Arbeit ist das Nähen“, erklärt Sylvia Kirchengast. „Unsere Vorfahren mussten diese Fertigkeiten in kalten Regionen entwickeln, damit sie sich warme Kleidung machen konnten. Bevor sie sich an die Arbeit machten, mussten sie abstrakt denken und ein hohes kognitives Niveau erreichen.“

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Für Arbeiten und Spiele ist ein hohes kognitives Niveau nötig.

Rechtshänder, um das Herz zu schützen?

Ein Spezifikum ist, dass geschätzte 80 bis 90 Prozent Rechtshänder sind. Warum das so ist, kann die Anthropologin nur vermuten: „Im Kampf konnte man mit der Linken das Herz schützen. Wer überlebte, konnte seine Gene eher weitergeben.“ Möglich ist auch, dass Mütter ihre Säuglinge mit dem linken Arm getragen haben – also zum Herz hin. So konnte man es eher beruhigen.“

Linkshänder überlebten trotzdem

Doch auch Linkshänder haben überlebt und sich fortgepflanzt: „Sie hatten im Kampf den Überraschungsmoment auf  ihrer Seite“, mutmaßt Kirchengast. Ein Umstand, den sich heute   noch  z.B. Tennisspieler zunutze machen.

Auch manche Tiere haben "Hände"

Übrigens: Dass die oberen Extremitäten anders ausgebildet sind als die unteren, gibt es nicht nur bei den Menschen und unseren nahen Verwandten.

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Geschicktes Eichhörnchen

„Die Schimpansen haben schon ausgeprägte Finger und können ganz gut greifen, wenn auch nicht so gut wie der Mensch“,  erklärt  Biologin Kirchengast. „Auch  Eichhörnchen oder  Fischotter sind ganz geschickt im Umgang mit ihren Händen.“

Tipp: Mit den Händen schauen, mit den Augen begreifen: Die  Ausstellung „Der Hände Werk“ auf Schloss Schallaburg (NÖ) widmet sich den vielen Facetten des Themas. Für Familien gibt es spezielle Angebote und Führungen.

Ort:  16. März bis 3. November 2019, Montag bis Freitag, 9 bis 17 Uhr, Samstag, Sonntag, Feiertag bis  18 Uhr,  Schallaburg 1 (bei Melk)
 

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