Thomas Brezina: "Ich hatte es als junger Autor nicht lustig"

Thomas Brezina: "Ich hatte es als junger Autor nicht lustig"
Seit 30 Jahren dominiert Brezina die Kinderunterhaltung. Im Gespräch erklärt er seine Welt – und jene der Kinder.

KURIER: Herr Brezina, am Ostermontag präsentieren Sie in Wien die „Planet Erde II – live in Concert“, dabei geht es auch um den Zustand der Welt. Sie mögen den erhobenen Zeigefinger doch gar nicht.

Thomas Brezina: Grundsatz meiner Kindersendungen ist: Unsere Aufgabe ist es, Kinder zu begeistern, zu bestärken, zu begleiten – niemals zu belehren. Wir Erwachsene haben einen Überblick und versuchen ihren Blick dahin zu lenken, wo Kinder „Wow“ sagen. Der Belehrende schaut vom Podest hinunter und sagt: Du dummes Wesen, dir erzähle ich, was auf dieser Welt vor sich geht. Diese Einstellung finde ich absolut verächtlich.

Das könnte von Maria Montessori sein. Oder Astrid Lindgren.

Ich liebe Lindgrens Satz: „Der größte Betrug an Kindern sind Erwachsene, die sich über ihren Kopf hinweg zuzwinkern.“ So wie ich Zynismus verabscheue, bei Erwachsenen und noch mehr bei Kindern. Zynismus und Sarkasmus sind Säure, mit der man herumspritzt, absolut unnötig. Es geht um Respekt, das heißt nicht, dass ich jedes Kind großartig finde, so wie ich nicht jeden Erwachsenen bewundere. Erziehung ist das Erlernen von Zusammenleben. Dahinter muss immer das Liebevolle stehen.

Aber wir finden doch jetzt alle Kinder immer total super in der neuen pädagogischen Korrektheit, in der keiner mehr raufen darf und alle lieb sind.

Mich stört, dass unter „Gewaltfreiheit“ immer nur physische Gewalt gemeint ist. Sogar diese Tom-und-Jerry-Dick-und-Doof-Gewalt wird verteufelt, dabei finde ich die Sprache und wie Figuren miteinander umgehen oft um einiges gewalttätiger. Mich hat immer gewundert, dass da niemand aufsteht.

Uh, das ist heikles Terrain. Viele finden den Vergleich zwischen physischer Gewalt a la „G’sunde Watsch’n“ und psychischer Gewalt unangebracht.

Das kann man sehr wohl vergleichen. Es gibt keine „g’sunde Watsch’n“, das ist Gewalt gegen Kinder, punkt. Und es ist genauso Gewalt, wenn ich meinem Kind sage: Du wirst es nie lernen! Oder: Sei nicht so deppert! Aber Sprachgewalt wird nicht als Gewalt angesehen.

Entwickelt sich die Gesellschaft im Umgang mit Kindern gut?

Wir machen zwei Schritte vor, einen zurück. Sicher, in Skandinavien kommen Menschen damit schneller weiter, und sicher gibt es Probleme, es gibt schreckliche Lehrer, es gibt fürchterliche Schulen, es gibt vieles zu verbessern. Aber man muss herausstreichen, was gut funktioniert, welche tollen Projekte es an Schulen gibt, welche Lehrer Großartiges leisten. Man kann auch nicht alles den Eltern überlassen. Manche Eltern können es einfach nicht besser, weil sie überfordert sind. Das sind Tatsachen. Wir müssen also nachdenken, wo wir eingreifen können.

Thomas Brezina: "Ich hatte es als junger Autor nicht lustig"

Apropos: Muss man Erwachsenen Wissen anders vermitteln als Kindern, zum Beispiel bei der „Planet Erde“-Show?

Gute Wissensvermittlung ist gute Wissensvermittlung. Für Kinder muss man jedes Fremdwort erklären, wobei ich das mittlerweile auch bei Erwachsenen mache. Erwachsene wollen wie Kinder Erklärungen, bei denen sie sich etwas bildlich vorstellen können. Bei unserer Sendung „Forscherexpress“ haben Erwachsene gesagt: Zum ersten Mal verstehe ich, was ich in der Schule nicht verstanden habe.

Beim neuen Knickerbockerbande-Buch, dem ersten für Erwachsene, haben Fans zu Ihnen gesagt: Toll, zum ersten Mal lese ich wieder ein Buch. Dazu Erwachsene, denen man jedes Fremdwort erklären muss. Ist das nicht alles erschütternd?

Unsere Welt beschränkt sich beim Lesen nicht mehr auf Bücher. Ein Erwachsener liest heute Unmengen an Text im Internet und bekommt Geschichten über so viele Kanäle. Es teilt sich nur auf und ich finde, es ist die faszinierendste Zeit überhaupt. Diese Generation will eben nicht mehr auf der Couch sitzen und Text aus einem Buch aufnehmen. Deswegen werde ich noch kein Kulturpessimist.

Aber genau das abstrakte, unbebilderte Lesen schult laut Hirnforschung den Geist.

Da muss man eben schauen, was man anderes macht. Die Gruppe an Menschen, die Bücher liest, wird kleiner – liest aber interessanterweise mehr als früher. Die Gruppe, für die ich schreibe, die Nicht- oder nur Fallweise-Leser, wird größer. Für die müssen wir Bücher schreiben, zu denen sie greifen. Wir wissen, dass 70 Prozent aller Buben zu keinem Buch greifen, dass nicht stark illustriert ist. Das kann ich nicht leugnen, also entwickeln wir neue Arten, wo Text und Illustration noch integrierter sind, damit auch schwache Leser durchkommen. Oder ich lasse Geschichten im Internet erscheinen, mache Apps. Für die guten Leser müssen wir nur gute Geschichten schreiben.

Ist Kinderunterhaltung insgesamt besser geworden?

Sie hat wie immer Höhen und Tiefen. In der Qualität ist es ähnlich geblieben, nur ist die Vielfalt heute viel größer – auch durch die neuen Darstellungsformen.

Gerade bei denen fehlen aber Qualitätsfilter: Jeder kann alles herzeigen, Apps programmieren, animieren, Bücher verlegen. Es gibt doch viel mehr Trash.

Es hat früher auch die Kaufhausbücher gegeben, Trash gab es immer. Wenn er erfolgreich ist, muss man sich anschauen, warum. Das ist eine wichtige Analyse. Aber vieles geht wie der Erfolg hinauf und wieder hinunter. Was mich an meinem Werdegang wirklich freut: Ich habe vielleicht nicht die Superspitzen gehabt, aber eine gewisse Kontinuität halten können.

Hatten Sie nicht? Mit über 40 Millionen Gesamtauflage sind Sie doch sicher Österreichs bestverkaufender Autor aller Zeiten, vielleicht nur nach Johannes Mario Simmel. Und das neue Knickerbocker-Buch knallt durch Gold-Platin-Decken.

Dass meine Bücher in so hohen Auflagen gelesen werden, ist ein Glück, und dass dieses Buch so erfolgreich ist, das größte Kompliment für einen Kinderbuchautor. Ich glaube, die Unsicherheit in der Welt ist so groß geworden, dass wir das Gefühl von Wohlbehagen und Geborgenheit suchen. Es scheint, diese Geschichte gibt das den Menschen – eine Lebenserinnerung und Helden von früher, die jetzt das gleiche Alter und die gleichen Probleme haben wie sie.

Geborgenheit hat halt immer so einen „heile Welt“-Kitsch.

Nicht heile Welt, nur eine, in der es eine gewisse Ordnung und Gerechtigkeit gibt, wo Dinge gelöst werden können, wo das Böse am Ende nicht durchkommt. Man muss nicht immer eins zu eins die Wirklichkeit abbilden, man muss Orte schaffen, an denen man gerne ist. Kinder haben sich immer nach Welten gesehnt, in denen man gerne leben möchte. Die Welt ist auch für Kinder bedrohlicher geworden.

In unserer Welt kommt derzeit nur leider oft das Böse durch. Soll man das Kindern nicht vermitteln?

Wir überfordern Kinder viel zu oft mit Zusammenhängen, die selbst Erwachsene nicht mehr verstehen. Die Politik eines Kindes ist hundert Meter rund um das Kind. Wenn es mit dem Leben, den Problemen und Menschen in diesen hundert Metern zurecht kommen, haben wir ihm schon viel vermittelt. Es ist nicht Aufgabe des Einzelnen, die Welt zu verändern, sondern am eigenen Bereich zu arbeiten, damit sich andere wohlfühlen.

Geht mit Prominenz und dem Vertrauen Ihrer Leser aber nicht die Aufgabe einher, bei der Weltverbesserung zu helfen? Menschen wünschen sich Verortung.

Ich bin Geschichtenerzähler, kein politischer Beobachter und kein Philosoph. Jeder ist fähig zu erkennen, wo die Welt steht. Ich habe mich Zeit meines Lebens damit auseinandergesetzt, wie ich das Leben besser in den Griff kriege, wie ich Dinge positiver sehen kann, wie ich mit mir selber besser zurechtkomme. Darüber erzähle ich heute gerne und immer mehr einem erwachsenen Publikum. Wenn Leute Gedanken hilfreich finden, freut mich das sehr.

Sie kommen mit sich besser zurecht als vor 30 Jahren? Beeindruckend.

Wesentlich besser. Mir half immer, mit Menschen zu reden, die mich meine eigene Situation klarer sehen lassen. Wir tragen Dinge in uns, die uns als Kleinkind eingebrannt werden, die wir nicht wegbekommen, mit denen wir nur besser umgehen können. Mir aufzuschreiben, wo stehe ich, was freut mich, was stört mich – das hat mir geholfen. Oder einen Brief an sich selbst zu schreiben, in dem man sich nur lobt. Das gilt bei uns als ungehörig, man ist nicht stolz. Das finde ich völlig falsch.

Thomas Brezina: "Ich hatte es als junger Autor nicht lustig"

Es wurde oft kritisiert, Ihren vielen Büchern fehle sprachliche Exzellenz. Sie wirkten dann verletzt, nehmen Sie das heute gelassener?

Natürlich. Ich bin gelassener geworden, weil die Menschen, für die ich das alles gemacht habe, mir gezeigt haben, dass mein Weg für sie richtig war. Es war meine Sprache, die viele zum Lesen gebracht hat. Man kann klar und einfach ausdrücken, was man zu sagen hat. Aber lustig hatte ich es als junger Autor nicht. Ich war 27, als meine ersten Bücher herauskamen, mit 30 war ich megaerfolgreich. Als alle jammerten, dass Kinder nicht mehr lesen, haben sie meine Bücher verschlungen. Und gleichzeitig haben mich erwachsene Meinungsträger dafür geprügelt, wie ich sie schreibe. Ich habe lange darunter gelitten, dass ich von der Erwachsenenwelt keinen Respekt bekommen habe, aber heute ist mir das so was von wurscht. Es hat sich ja auch völlig gedreht.

Im November haben Sie über Ihre Hochzeit und damit erstmals über Ihre Homosexualität geredet. Durfte ein Kinderunterhalter Ende der 1980er nicht schwul sein?

Die Situation war früher nicht so, dass man ruhig dazu stehen konnte. Da konnte das jemand gegen dich verwenden. Es hat sich aber unglaublich viel getan, mehr als ich selber geglaubt habe. Ich habe eine Ersatz-Großmutter in Tirol, über 80, eine eher konservative und katholische Frau. Nachdem sie von meiner Beziehung erfahren hatte, begann sie jedes Telefonat mit den Worten: Wie geht es dem Ivo? Da hab ich gemerkt, wenn die so sein kann, kann das bitte jeder. Aber große Sache war das nicht, wir haben uns nie versteckt, sind gemeinsam ausgegangen, man hat uns gemeinsam gesehen.

Zum Schluss eine Diagnose: Seit 1990 haben sie fast alle durch ihre Kindheit begleitet. Wie empfinden Sie denn diese Generationen?

Ich beobachte, wenn ich mit jungen Menschen arbeite, zwei Gruppen. Die einen haben wirklich Freude, Begeisterung und Leidenschaft. Die anderen sind der Meinung, es steht ihnen eine gewisse Arbeit zu und sie erfüllen sie halt. Die beiden Gruppen driften auseinander, dazwischen gibt es nicht viel. Das erzählen mir auch Freunde von Vorstellungsgesprächen: Die ersten Fragen sind oft, wie viel verdiene ich, wie viel Urlaub habe ich, worauf hab ich Anspruch? Diese Menschen bringen sich um viel Lebensfreude. Da ist in der Vermittlung viel schiefgelaufen, aber es fehlt auch oft Eigenverantwortung. Wenn mich etwas frustriert, muss ich was anderes suchen. Das ist sicher nicht immer einfach, aber die Gestaltung des Lebens liegt immer bei mir selbst. Es ist nicht immer alles Honiglecken, aber das ist das Leben, wie ein Freund von mir sagt: Es geht rauf, es geht runter, wie ein Herzmonitor. Und wenn du eine flache Linie hättest, wärst du tot.

Planet Erde mit üppiger Musik

Am 2. April ( Ostermontag; 18 Uhr) präsentiert Brezina in der Stadthalle Wien die BBC-Show „Planet Erde II: eine erde – viele welten – live in concert“: Zu einzigartigen Naturaufnahmen auf Riesen-Leinwand spielt ein Orchester die Musik von Oscargewinner Hans Zimmer. Info & Tickets: www.planet-erde-live.de

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