Streitgespräch: Haben es die Jungen heute schwerer?
Dass es der künftigen Generation einmal besser gehen wird als der jetzigen, ist nicht ausgemacht: Haben es die Jungen heute schwerer? Oder fehlt ihnen einfach nur der Biss? Darüber reden Seniorin Ingrid Korosec und Junior Sebastian Höglinger.
Ingrid : Die Angst vor einem sozialen Abstieg ist sicher nicht unberechtigt. Was ich schon sehe: Das Durchbeißen ist heute nicht mehr so vorhanden. Früher haben die Menschen die Umstände akzeptiert und angepackt. Man hatte den Krieg erlebt und wollte raus aus der Armut.
Sebastian Höglinger: Reden wir hier von einer Angst der Jugend? Oder sind es eher die Sorgen der Eltern? Das ist so die Mär wie die von der Politikverdrossenheit der Jugend – da unterscheidet sie sich aber nicht von der älteren Generation. Was stimmt: Wir sind ganz selbstverständlich mit Frieden und der EU aufgewachsen. Was mir Sorgen macht, ist ein spürbarer gesellschaftlicher Rückschritt: Verstärkt aufkeimender Nationalismus und der Trend hin zu konservativeren Denkmodellen, wie die Gesellschaft funktionieren soll und welche Rolle darin z. B. Mann und Frau haben.
Korosec: Das wird sich beruhigen. Wir haben doch eine gebildete Jugend. Und Frauen sind so gebildet wie nie zuvor.
Höglinger: Sie sagen, dass man früher angepackt hat, und wenn man etwas geleistet hat, konnte man in einem Unternehmen Karriere machen. Das galt doch für Frauen und Männer nicht gleichermaßen.
Korosec: Nein, das ist auch heute noch nicht so. Damals war es unendlich konservativ: Im Krieg haben die Frauen die Männer ersetzt – sobald die Männer wieder zu Hause waren, sollten wir zurück an den Herd. Ich habe deswegen 1960 in einem Ehevertrag festgehalten, dass ich arbeiten darf – sonst hätte ich nicht geheiratet. In der Gesellschaft und privat hat niemand verstanden, dass ich neben den Kindern gearbeitet habe. Dass ich in die Politik gegangen bin, hängt damit ursächlich zusammen.
KURIER: Heute haben wir eine Generation der Erben – manche erben nichts, andere sehr viel. Da geht die Schere im Gegensatz zu früher weit auf.
Höglinger: Es haben nicht alle die gleichen Startbedingungen. Das Erbe ist für viele ein Polster, ja. Aber überhaupt eine Familie hinter sich zu haben, ist ein Auffangnetz, das viele so nicht haben. Besonders jene nicht, die neu ins Land kommen. Was mich beim Wort „anpacken“ stört: Da kommen so Kategorien ins Spiel wie Leistung oder Faulheit – die unterstellt man den Jungen, die es karrieretechnisch nicht geschafft haben. Wenn aber jemand Arbeitlosengeld beziehen kann, ist das doch auch positiv. Da werden durch (soziale) Medien und Politik Gräben aufgemacht, die ich problematisch. finde. Manche habe es schlichtweg leichter, die Fleißigen zu sein.
Korosec: In diesem Sinne waren wir in einer „besseren“ Situation. Man wusste, es geht aufwärts, wenn man arbeitet. Die Latte für die Jugend hängt da schon entschieden höher. Das hängt damit zusammen, dass sie den Wohlstand der Eltern, der ja auf einem hohen Niveau ist. erreichen wollen. Auf der anderen Seite wird der Jugend durch die Medien ein hoher Lebensstandard vorgegaukelt – etwa, dass sich Fernreisen jeder leisten kann. Dem ist nicht so.
KURIER: Heute spricht man von der Generation Praktikum. Ist das ein reales Problem?
Höglinger: Im Kulturbereich sehe ich viele, die sich für sehr wenig Geld aufopfern oder parallel Jobs machen bzw. von der Familien finanziert werden, um über die Runden zu kommen. Sie hoffen, so vielleicht später einen Job in dem Bereich zu ergattern. Ich selbst habe mich immer geweigert, in das Praktikumsystem einzusteigen. Ich habe nur eines gemacht – bei der Diagonale. Mir war klar: Das ist meine Chance. Wir bekommen aber viele Praktikumsbewerbungen, wo ich sehe, dass ein Job nicht das Ziel ist. Oft fehlt da der Fokus: Was will ich eigentlich? Man sollte den Menschen Zeit geben, das herauszufinden.
Korosec: Künstler hatten es immer schwer, eine fixe Anstellung zu bekommen, wobei ich diese Praxis der vielen Praktika nicht gutheiße. Zum Thema berufliche Orientierung: Heute werden die Möglichkeiten, die Eltern und Schule bieten, oft nicht angenommen. Früher musste man Geld verdienen und vieles machte man interessehalber neben dem Beruf. Das empfinde ich auch rückblickend als positiv.
Höglinger: Waren damals die Lebenskonzepte nicht mehr vorgegeben? Man hat früh Kinder bekommen und angefangen bei einer Firma zu arbeiten, bei der man bis zur Pension war. Einen Job zu finden, wo man sein Leben bleibt, ist für viele gar nicht erstrebenswert. Allerdings bekommen viele nicht einmal die Chance auf eine Stelle.
Korosek: Dass man flexibel sein und ein Leben lang lernen muss, finde ich nicht so schlecht. Auch ich wollte in der Politik alle zehn Jahre etwas Neues machen. Was mir auffällt: Die Ansprüche einiger in der jungen Generation sind mittlerweile sehr gering, ein Auto war z. B. wichtig, das ist heute nicht mehr so.
Höglinger: Das Auto ist immer noch Statussymbol, das sehe ich z. B. auf dem Land.
Korosek: Dort braucht man’s.
Höglinger: Sobald das Auto tiefer gelegt ist und die Felgen glänzen, geht es über das Brauchen hinaus. Ich glaube, die Frage, ob man Ansprüche hat, ist abhängig von der sozialen Umgebung. Ich war im BORG mit Musikschwerpunkt, da war es anders: Marken waren verpönt: je billiger, desto besser. Das variiert von Gruppe zu Gruppe.
KURIER: Die Familiengründung wird immer mehr hinaus geschoben. Warum? Höglinger: In Kreativjobs bekommt man eher später die Kinder, auch weil man nicht so schnell den Partner findet. Andere Formen der Lebensgemeinschaft sowie Scheidungen sind heute zum Glück kein Tabu mehr. Dass man wegen des Geldes keine Kinder bekommt, sehe ich nicht.
Korosek: Die späte Heirat hängt mit der Bildung der Frau zusammen. Als wir geheiratet haben, wohnten wir in einer kleinen Wohnung – Küche, Kabinett und Klo am Gang. An allem, was man sich gekauft hat, hat man so eine Freude gehabt. Die hat die Jugend glaube ich nicht.
Höglinger: Das ist zu pauschal. Meine erste Wohnung sah exakt so aus, wie Sie sie beschreiben. Und wenn man neben dem Studium arbeiten gehen muss, ist ein Leben im Überfluss auch keine Selbstverständlichkeit.
KURIER: Was wünschen Sie der nächsten Generation?
Korosek: Freude an Bildung, Begeisterungsfähigkeit, Neugierde und Optimismus. Auch Leistung soll etwas zählen, denn wir leben ja im internationalen Wettbewerb – in anderen Ländern sind die Menschen hungriger.
Höglinger: Die Demokratie wird derzeit von vielen in Frage gestellt. Da sollte man sich in Erinnerung rufen, wohin das geführt hat. Gleichzeitig bergen die Zeiten aber auch das Potenzial, dass das Vertrauen wieder steigt. Meinen Enkeln wünsche ich, dass das Sozial- und Bildungssystem erhalten bleibt.
Lesen Sie am Dienstag im KURIER: Wie sich die Gewaltstatistik entwickelte
Zu den Personen:
Sebastian Höglinger leitet die Diagonale geb. 1983, Linz. Studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaften; Organisation von Kulturveranstaltungen. 2000 – 2014 Co-Leiter des Jugendfestivals YOUKI Wels, Mitarbeit bei Filmfestivals. Seit 2015 mit Peter Schernhuber Leitung der Diagonale – Festival des österreichischen Films in Graz.
Ingrid Korosec leitet den Seniorenbund geb. 1940, Böheimkirchen. Begann 1956 bei ADEG zu arbeiten, absolvierte parallel die HAK und einige Semester Volkswirtschaft. ÖVP-Abgeordnete im Wiener Landtag, später im Nationalrat. 1991–95 ÖVP-Generalsekretärin, danach Volksanwältin. Seit 2016 Chefin des Seniorenbundes.
Kommentare