Sie bewahrt den Durchblick in der Dunkelheit
In ihrer Küche warten keine großen Hindernisse auf sie. Ihren zauberhaften Birnenstrudel nimmt sie aus einem Backrohr, das mit Holz befeuert wird und das sie aufgrund ihrer Erfahrungen gut im Griff hat. Nur beim Eingießen des Kaffees in ihre Tasse bittet die 55-jährige Niederösterreicherin ihre Gäste um Hilfe. Dann erzählt Heidemarie Feucht aus ihrem Leben.
Wir sitzen in einem Einfamilienhaus in Maiersdorf an der Hohen Wand, gleich hinter dem Ort baut sich eine schroffe Bergwand auf. „Dort oben bin ich aufgewachsen“, deutet die Dorfbewohnerin auf eine Berghütte, die heute noch zur Labung von Wanderern dient.
„Eine Handvoll Ich“
Ihr Leben begann zweieinhalb Monate vor dem prognostizierten Geburtstermin – mit gerade einmal 1,3 Kilogramm. In ihrem Buch Sehbehindert – na und? beschreibt sich Heidemarie Feucht als „eine Handvoll Ich“. Es ist ihrem unbändigen Lebenswillen zu verdanken, dass sie heute in ihrer Küche Kaffee und Kuchen servieren kann. Aufgrund der großen Komplikationen bei der Geburt wurde sie in das Wiener Allgemeine Krankenhaus überstellt. „Dass mich meine Mutter dort nie besucht hat, tut mir heute noch ein bisschen weh, aber sie wird ganz gewiss Gründe dafür gehabt haben.“
Ihre Geburt hat beide Augen in Mitleidenschaft gezogen, erzählt Heidemarie Feucht dann. „In meiner Kindheit konnte ich schon noch sehen, aber vieles nur sehr schemenhaft.“ Als junge Kellnerin im elterlichen Betrieb gelang es ihr, viel mit ihren anderen Sinnen zu kompensieren. Brutal dunkel wurde ihr Leben erst nach der Geburt ihrer ersten Tochter: „Da bekam ich im linken Auge so arge Schmerzen, dass ich die Ärzte darum bat, mir das Auge zu entfernen.“
Durch die Operation hat sie mehr verloren als nur ein Sinnesorgan: „Mein erster Mann hat sich von mir scheiden lassen, ich bin plötzlich mit einem Kind ohne finanzielle Sicherheit dagestanden.“ Zudem verschlechterte sich auch die Sehleistung des anderen Auges. „Auf zwei bis drei Prozent“, wie sie heute sagt. Was sie noch sieht? Hm, dass die schwarze Jacke des Fotografen „dunkel“ ist und das hellblau-weiß gestreifte Hemd des Redakteurs „eher hell“.
Ans Resignieren hat Heidemarie Feucht nie gedacht. Heute sagt sie: „Es nützt ja nichts, ich kann mich doch nicht bis zum Ende meines Lebens hinsetzen und traurig sein.“
Ein zweiter Mann ist in ihr Leben getreten. Ein guter Mann. Ein braver Mann. Man könnte meinen: ein Abgesandter der ausgleichenden Gerechtigkeit. Gemeinsam mit ihm hat sie ein Zimmer des Ein-Familien-Hauses zu ihrem speziellen Büro umfunktioniert. Hier lassen sich eingescannte Texte deutlich vergrößern oder hörbar machen. Eine Stimme, die man sonst von Navigeräten in Autos kennt, liest ohne Punkt und Beistrich vor. Der Sinn ergibt sich öfters aus dem Zusammenhang. Mit der Hilfe ihres Manns hat Heidemarie Feucht hier auch ihr eigenes Buch geschrieben: „Ich möchte damit anderen Menschen Mut machen.“ In Kürze will sie wieder einen Job antreten, als Beraterin für Unternehmen, die Inklusion nicht nur als Werbegag ansehen. „Darauf freue ich mich schon sehr“, sagt die Buchautorin, während sie mit dem Blindenstock in der Rechten das Haus verlässt und den vertrauten Weg zum Kaufhaus geht. Die große Kugel am Stockende soll ihr unverhoffte Hindernisse anzeigen. Lächelnd merkt sie an: „Öfters hab’ ich blaue Flecken.“
Buchtipp:
Heidemarie Feucht: Sehbehindert – na und? Mut tut gut. Verlag Berger, 138 Seiten, extra gestaltet für Blinde und Sehschwache, 14,90 €
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