"Shape of Water": Gehörlose in Österreich

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Der Film "Shape of Water" brillierte bei der Oscar-Verleihung. In der Realität werden Gehörlose und ihre Muttersprache noch immer viel zu wenig wahrgenommen.

Das "F-Wort"! Elisa schreit es dem unsympathischen Mr. Strickland förmlich entgegen. Dennoch fällt dabei kein Ton. So lautlos und trotzdem so emotional wurde eine Beschimpfung wohl selten artikuliert. Nicht zuletzt aufgrund Sally Hawkins Darstellung der stummen Elisa, die sich nur mittels Gebärdensprache ausdrücken kann, heimste der Film Shape of Water – Das Flüstern des Wassers vier der begehrten Oscar-Trophäen ein.

Die positive Zeichnung dieser Hauptfigur, die hören, aber aufgrund zerstörter Stimmbänder nicht sprechen kann, rückt den Blick auf eine Gruppe, die viel zu selten wahrgenommen wird. Nicht sprechen, seine Bedürfnisse nicht artikulieren zu können – das ist für die meisten Menschen eine Horrorvorstellung. "Es ist aber ein Unterschied, ob jemand akustisch etwas wahrnehmen kann oder nicht", sagt Theresa Böhm, Gebärdensprache-Dolmetscherin und Geschäftsführerin des Vereins "Witaf", der Gehörlose im Alltag unterstützt.

Nicht sprachlos

Filmfigur Elisa zeigt, dass sie ganz und gar nicht sprachlos ist. Im Gegenteil – sie kommuniziert mit ihren hörenden Freunden, sie setzt sich zur Wehr, sie schimpft – und baut vor allem eine Beziehung mit einem mystischen Amphibienmann auf, der in einem Labor gefangen gehalten wird. Ganz ohne Stimme, nur mit Gebärden.

Der Film wird auch unter Gehörlosen diskutiert, weiß Romeo Seifert. Der gehörloser Sozialarbeiter in der Gehörlosenambulanz im Spital der Barmherzigen Brüder in Wien findet es gut, dass Gebärdensprache im Kino thematisiert wird. "Das zeigt in der Öffentlichkeit, dass auch Gebärden zur Kommunikation beitragen." Aber: "Es werden viel zu wenige Filme mit und über Gehörlose mit Gebärdensprache gezeigt, die auch als solche deklariert sind." Diesbezüglich punktet Shape of Water bei ihm weniger: "Gehörlose nehmen alles visuell auf und im Film wird nur eingeschränkt Gebärdensprache gezeigt."

"Shape of Water": Gehörlose in Österreich
Romeo Seifert, Sozialarbeiter, Gehörlosenambulanz, Barmherzige Brüder Wien

Neben den typischen Hand-Gesten für Buchstaben oder Worte sind begleitende Mundbewegungen für die Kommunikation fast ebenso wichtig. Den Unterschied beschreibt Romeo Seifert so: "Bei Gehörlosen ist mehr Körperkontakt da, bei Hörenden muss Augenkontakt entstehen, damit eine Kommunikation möglich ist." Bei seinem Gegenüber achtet er auf Unterschiedliches: "Bei Gehörlosen auf die Hände, bei Hörenden auf den Mund zum Lippenlesen."

Unter den Freunden von Seifert finden sich aber auch Hörende, "da es immer auf den Menschen ankommt und nicht darauf, ob er hörend oder gehörlos ist".

200 Sprachen

Ausdrücken lässt sich mit sogenannten gestisch-visuellen Sprachen alles, heißt es beim Österreichischen Gehörlosenbund (ÖGLB). Gebärdensprache ist allerdings nicht gleich Gebärdensprache – weltweit werden etwa 200 verschiedene verwendet, die sehr unterschiedlich sein können. Engländer haben zum Teil andere Gebärden als Amerikaner, Österreicher andere als Deutsche (Infos dazu: www.spreadthesign.com). Und sogar in den Bundesländern gibt es zum Teil eigene Vokabel für manches. "Steirisch kann anders als Oberösterreichisch sein. Gebärdensprache ist natürlich gewachsen, wie jede andere Sprache auch. Aber im Deutschen hat man den Vorteil des gleichen Mundspiels", erklärt Dolmetscherin Böhm.

Sozialarbeiter Seifert verwendet neben der deutschen auch die internationale Gebärdensprache (International Sign Language), weil er in der Ambulanz häufig mit Migranten zu tun hat. Diese wird auch häufig bei internationalen Konferenzen verwendet, sagt Böhm. Nachdem Shape of Water in amerikanischer Gebärdensprache gedreht wurde, sind hiesige Gehörlose auf die Untertitel angewiesen – da unterscheiden sie sich nicht von ihren hörenden Mitmenschen.

In Österreich gibt es rund 10.000 gehörlose Menschen. Der Kreis der Nutzer von Gebärdensprache ist aber viel größer. Seit 2005 ist die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) in der Bundesverfassung verankert. Damit sollten auch Rechte wie etwa Bildung in der Muttersprache, barrierefreies Lernen verpflichtend umgesetzt werden.

„In der Realität ist es immer eine Frage von Ressourcen, Budgets oder gutem Willen“, sagt Theresa Böhm vom Verein „Witaf“. „Es wird österreichweit sehr unterschiedlich gehandhabt.“ Im Raum Wien vergibt etwa der Fonds Soziales Wien Dolmetschbudgets, über die Gehörlose verfügen können, etwa für Arzt- oder Behördenbesuche oder Elternabende in der Schule des Kindes. „Ständig rechnen zu müssen, bindet viel Zeit und Energie. Etwa bei chronischen Krankheiten muss man auch häufiger zum Arzt“, schildert sie Alltagssorgen.

Ausbildung

Die Ausbildung zum Gebärdensprachendolmetscher ist mehrjährig. „Es ist wie bei den Lautsprachen: Wenn ich Französisch kann, kann ich auch nicht automatisch Dolmetscher sein.“ Die Dolmetscher sehen sich als neutrale Begleiter. „Wir übersetzen eins zu eins, aber geben keine Ratschläge oder Empfehlungen ab.“ Das wird auch von jüngeren Gehörlosen zunehmend eingefordert. Ältere seien das so nicht gewohnt. „Sie wurden oft von Verwandten oder Freunden auf Ämter usw. begleitet und sehen den Kontakt mit einem Dolmetscher etwas anders.“

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