Schutz vor Übergriffen: Britische Polizei rät Frauen in Gruppen zu joggen

Frauen sollten in Gruppen laufen, um sich vor Übergriffen zu schützen, rät die britische Polizei.
Im Rahmen einer Kampagne wird die Vorsichtsmaßnahme empfohlen. Expertinnen sehen darin eine Form der Täter-Opfer-Umkehr.

Wegen einer Kampagne zum Schutz von Frauen gegen sexuelle Übergriffe steht eine britische Polizeibehörde derzeit in der Kritik.

Die Territorialpolizei Avon and Somerset Police, die für die Grafschaft Somerset und die inzwischen aufgelöste Grafschaft Avon zuständig ist, lancierte am 21. Jänner die Kampagne #JogOn. Diese wurde in Zusammenarbeit mit der Initiative "Bristol Zero Tolerance" ins Leben gerufen. Die Organisation setzt sich gegen Gewalt an Frauen, Belästigung und Missbrauch in der Stadt im Südwesten Englands ein.

Gemeinschaftliches Joggen gegen Belästigung

Im Zuge der Kampagne wird Frauen unter anderem geraten, in Gruppen laufen zu gehen, um sich vor möglichen Übergriffen zu schützen. Man solle "in Erwägung ziehen, in einer Gruppe zu trainieren", um sich gegenseitig "zu unterstützen" und "selbstbewusster" auftreten zu können. Durch gemeinschaftliches Joggen könne auch den Einsatz von Kopfhörern vermieden werden, was wiederum potenziell bedrohlichen Situationen vorbeugt, heißt es.

In der Aussendung zur Kampagne wird Marie Wright, Kriminalhauptkommissarin der Behörde, zitiert: "Leider wissen wir, dass manche Menschen, in der Regel Frauen, sich unwohl fühlen, eingeschüchtert sind oder Angst haben, laufen zu gehen. Vor allem im Winter, wenn die Nächte länger sind und es wenig Möglichkeit gibt, bei Tageslicht draußen zu sein." Das Trainieren in einer Gruppe sei angesichts dessen eine großartige Möglichkeit, "sich sicher zu fühlen, motiviert zu bleiben und bedrohliches Verhalten abzuwehren".

Laut Kriminalkommissarin Sue Mountstevens solle die Kampagne Frauen ermutigen "ohne Angst und Gefühl der Einschüchterung" draußen laufen zu gehen. "Es kann nicht die Norm sei, dass man während des Trainings unangenehm angesprochen oder belästigt wird", erklärt sie.

Kritik an Täter-Opfer-Umkehr

Die Aktion stößt nicht nur auf Zustimmung. Die Initiative sei ein weiterer Versuch, Frauen zu kontrollieren und ihnen Freiräume zu nehmen, so der Tenor. Zudem werde Täter-Opfer-Umkehr betrieben.

Karen Ingala Smith, Leiterin von Nia, einer Wohltätigkeitsorganisation, die sich der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen widmet, sagte gegenüber dem Telegraph: "Es ist wahrscheinlich eine pragmatische Entscheidung für Frauen, aber ich glaube nicht, dass es richtig ist – es ist ein weiteres Beispiel dafür, wie männliche Gewalt wirkt wird verwendet wird, um alle Frauen zu kontrollieren und einzuschränken."

Bella Mackie, Autorin des Buches "Jog On: How Running Saved My Life", zeigte sich im Interview mit dem Independent zwiegespalten: "Ich bin erfreut, dass die Polizei die Belästigung von Läuferinnen ernst nimmt. Viele ihrer Tipps sind sehr vernünftig und wir sollten alle beim Laufen auf unsere Umgebung achten, besonders in den dunkleren Monaten." Dennoch sei sie "besorgt, weil der Schwerpunkt so stark auf den Frauen liegt, die laufen". Viele Leute hätten schlicht nicht die Möglichkeit in einer Gruppe zu joggen – "und die Polizei definiert das als Priorität".

Auch im Netz brachten Userinnen Zweifel an der Empfehlung zum Ausdruck. Autorin Vonny LeClerc, die unter anderem für den britischen Guardian schreibt, beschrieb die Aktion etwa als "ausgrenzend". "Nicht jeder hat jemanden, mit dem er laufen kann. Nicht jeder möchte mit anderen Leuten laufen. Arbeitet an den sexuell gewalttätigen Männern", twitterte sie.

Um sich vor sexualisierter Gewalt zu schützen, wird Frauen nicht selten geraten, bei der Wahl ihrer Kleidung, ihrem Auftreten, Augenkontakt und ihrem Verhalten generell vorsichtig zu sein. Das führt mitunter dazu, dass sich Frauen häufig selbst die Schuld an derartigen Übergriffen geben. Der Mechanismus, Kontrolle und Macht, vom Täter auf das Opfer zu übertragen wird als Victim-Blaming (auf Deutsch: Täter-Opfer-Umkehr) bezeichnet.

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