Tweet klärt auf, wer an sexualisierter Gewalt Schuld hat

Symbolbild
Betroffene müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, zu aufreizend gekleidet oder zu offensiv in ihrem Verhalten gewesen zu sein.

Um sich vor sexualisierter Gewalt zu schützen, wird Frauen nicht selten geraten, bei der Wahl ihrer Kleidung, ihrem Auftreten, Augenkontakt und ihrem Verhalten generell vorsichtig zu sein. Das führt mitunter dazu, dass sich Frauen häufig selbst die Schuld an derartigen Übergriffen geben.

Weit verbreiteter Mechanismus

Wie weitverbreitet es ist, die Verantwortung an diesen den Opfern selbst zu übertragen, zeigen diverse Medienberichte. Im Jänner des vergangenen Jahres machte ein indischer Minister Frauen, die Opfer von Übergriffen werden, für diese selbst verantwortlich, weil sie sich zu "westlich" kleiden würden. Auf Harvey Weinstein (im Oktober 2017 wurde dieser beschuldigt, eine große Anzahl Frauen vergewaltigt oder sexuell belästigt zu haben, Anm. der Redaktion) angesprochen, sagte US-Designerin Donna Karan, dass Frauen mit sexy Outfits "nach Ärger fragen würden". Später entschuldigte sie sich für ihre Aussage (mehr dazu hier). Immer wieder wird zudem argumentiert, dass Kleidervorschriften an Schulen notwendig seien, damit Mädchen nicht die Aufmerksamkeit von Buben auf sich ziehen und diese vom Unterricht ablenken.

Auf Twitter macht die US-amerikanische Journalistin Maura Quint, die vor allem für die Satire-Seite The Onion schreibt, nun anhand persönlicher Geschichten klar, warum das Opfer niemals eine Schuld oder Mitschuld an sexualisierter Gewalt trägt.

"Ich möchte euch eine Geschichte erzählen: Eines Tages in der High School fühlte ich mich unsicher. Ich zog ein enges, zu tief ausgeschnittenes Top an und trug dunklen Lippenstift auf, den ich normalerweise nicht verwendete. Ich ging zu einer Party und trank schrecklichen, mit Fruchtsaft gemischten Wein, zu viel davon. Ein Mann fragte mich, ob ich gehen wollte, ich nuschelte vielleicht. Er sagte 'vielleicht'? Und dann sagte er: 'Vielleicht heißt nicht ja' und ich ging an diesem Abend nach Hause, ohne missbraucht worden zu sein, denn ich hatte auf dieser Party nicht mit einem Vergewaltiger gesprochen."

Eine andere Geschichte handelt davon, dass sie ein paar Jahre später mit ihren Freundinnen in eine Bar ging, in der sie mit einem Typen flirtete. Er nahm sie an der Hand und zog sie raus, wo er sie küsste. Weil sie ihm kein klares "Ja" geben wollte, schickte er sie wieder weg.

Ein anderes Mal nahm sie die Einladung eines Typen an, mit ihm nach Hause mitzugehen. Es gefiel ihr, ihn zu küssen, doch als er ihre Kleider ausziehen wollte, bemerkte er ihr Zögern. Er sagte ihr, es würde ihm nur Spaß machen, wenn auch sie Lust darauf hätte.

Den Satz, mit dem Quinn all ihre Geschichten beendet, lautet:

"Ich hatte Glück, ich hatte an diesem Abend keinen Vergewaltiger getroffen."

Das brachte sie zur Schlussfolgerung:

"Ich wurde belästigt. Ich wurde auch nicht belästigt. Der Unterschied schien nicht zu sein, was ich anhatte, wie sehr ich geflirtet habe oder wie viel ich getrunken habe. Der einzige Unterschied schien zu sein, ob es die Männer ok fanden, übergriffig zu sein oder nicht."

Täter-Opfer-Umkehr

Der Mechanismus, Kontrolle und Macht, vom Täter auf das Opfer zu übertragen wird als Victim-Blaming (auf Deutsch: Täter-Opfer-Umkehr) bezeichnet und wurde bereits im Jahr 1966 untersucht. Das berichtet Yahoo Lifestyle. Melvin Lerner und Carolyn H. Simmons, zwei Verhaltensforscher der University of Kentucky, veröffentlichten in diesem Kontext ihre Untersuchung über das Bedürfnis von Menschen, in einer "gerechten Welt" zu leben. Dieses sei unter anderem daran erkennbar, dass Menschen Taten für sich selbst so erklären, dass Opfer ihre Umstände auf irgendeine Art und Weise auch verdient hätten. Laut der Studie ist es für die meisten Menschen ihrer eigenen seelischen Gesundheit zuliebe nicht möglich, an eine Welt zu glauben, die von Zufälligkeiten bestimmt wird.

Aus diesem Grund wird an der Annahme festgehalten, dass es zwischen Ursache und Wirkung einen Zusammenhang geben muss und dass das auf jeden Menschen und seine jeweilige Situation anwendbar ist. Das bestärkt den Glauben, dass eine Person, der Leid oder Unglück widerfährt und die zum Opfer wird, dieses Schicksal zu einem Teil auch verdient hat. Dieses Muster zeigt sich unter anderem auch dann, wenn Menschen kontrollierbare äußere Faktoren, wie beispielsweise ein Kleidungsstück, als Grund für einen Übergriff heranziehen. Denn das vermittelt ein Gefühl von Sicherheit und Erklärbarkeit.

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