Schulexperten fordern strenge Auslese bei Lehrern
Von finnischen Zuständen können Österreichs Pädagogen nur träumen: Schulpsychologen sind rar und Gebäude sind oft in einem erbärmlichen Zustand. Dennoch schaffen es viele Lehrer mit den vorhandenen Mitteln Außergewöhnliches zu leisten. Das zeigt der KURIER in einer siebenteiligen Serie. Trotzdem ist klar: In der Bildung herrscht Reformbedarf. Lehrergewerkschafter Paul Kimberger und Bildungsaktivist Daniel Landau diskutieren, was sich ändern muss.
KURIER: Jeder dritte Schulabgänger kann nicht sinnerfassend lesen. Was haben die Lehrer falsch gemacht?
Paul Kimberger: Alles beginnt im Elternhaus. Dort sind wichtige Grundlagen zu legen. Wenn ich den Fokus in die Schule lenke, stelle ich fest: Wir haben Reformhysterie und Projektwahnsinn. Wir dürfen aber das Wesentliche nicht vergessen – lesen, schreiben, rechnen und soziale Fähigkeiten müssen gelernt werden. Da brauchen Lehrer mehr pädagogische Freiheit, mehr Ressourcen und Unterstützung in Form von z. B. Sozialarbeitern.
Daniel Landau:Wir haben ja völlig unterschiedliche Voraussetzungen in den Schulen. Es gibt eine großes Stadt-Landgefälle – auch innerhalb Wiens sind die Unterschiede groß. Weder Kinder mit speziellen Begabungen noch mit Aufholbedarf werden derzeit gefördert. Ihre Neugier verstummt. Schulen bräuchten Möglichkeiten zum Umgang mit Unterschiedlichkeit.
Es gibt genug Lehrer. Laut Statistik ist das Schüler-Lehrer-Verhältnis in der Volksschule 1:14,5, in der Hauptschule 1:10.
Daniel Landau: Ich habe ein Problem mit diesem Schlüssel. Zehn Prozent der Pädagogen werden nicht in der Schule eingesetzt. Das sind mehr als 12.000 Voll-Lehrerstellen über ganz Österreich.
Kimberger: Mit diesem Personal müssen wir vieles organisieren: Verwaltung, Sonderpädagogik, Migration usw. Wir sind chronisch unterdotiert. Eine individuelle Förderung ist derzeit in der Pflichtschule nicht mehr möglich.
Landau:Es gibt keine Kostenwahrheit. Ich plädiere deshalb für einen Kassasturz.
Kimberger: Ich machte Gabriele Heinisch-Hosek den Vorschlag, alles zu durchforsten und zu fragen, was man braucht. Man braucht jedenfalls keine Dauerbevormundung durch den Minoritenplatz (Bildungsministerium, Anm.) und Schulbehörden. Die Frage der Differenzierung kann die Schule selbst entscheiden. Auch Verwaltungsaufgaben sollte man entrümpeln. Lehrer sind zusätzlich 50 bis 70 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Dingen beschäftigt, die mit Pädagogik nichts zu tun haben.
Also mehr Schulautonomie?
Landau: Autonomie heißt: Wir müssen Lehrerinnen das Vertrauen geben, dass sie richtige Entscheidungen fällen.Das ist weit mehr als das, worüber wir jetzt diskutieren. Meine Sorge ist, dass man – wie einst unter Elisabeth Gehrer – Autonomie zum Sparen missbraucht (Anm.: Es mussten Stunden gekürzt werden, an jeder Schule autonom andere).
Kimberger: Wir brauchen gelebte Autonomie. Das heißt Entscheidungen am Standort treffen zu können und dafür auch die Mittel zu haben. Bisher waren wir nur konfrontiert mit dem autonomen Sparen. Allerdings: Schule wird durch Autonomie nicht billiger. In Wahrheit muss ich sogar mehr investieren. Die Ergebnisse werden aber besser, weil die Menschen am Standort besser wissen, was gut für den Standort ist.
Sie nehmen die Eltern in die Pflicht. Aber viele können ihre Kinder gar nicht unterstützen.
Kimberger: Denen muss man helfen. An belasteten Standorten braucht es gut ausgestattete Ganztagsschulen. Wenn ich manche Schulen in ihrem baulichen Zustand und ihrer Mangelausstattung sehe, tun mir die Kinder leid.
Landau: Ganztags ohne Raum ist pädagogischer Wahnsinn.
Die Aufgabe der Eltern ist klar. Was ist die des Lehrers?
Kimberger: Er bildet die Kinder aus. Da kann es nicht genug an Qualifikation geben. Deshalb habe ich mich sehr für die neue Lehrerausbildung eingesetzt. Doch denen, die sagen: "Alles ist so schlecht", sage ich: Wir haben es geschafft, eines der reichsten, sichersten und sozialsten Länder zu werden – durch Menschen, die durch unser Schulsystem gegangen sind.
Landau: So gut wie das Schulsystem war, so sehr mahne ich ein, dass wir mit der sich immer schneller verändernden Gesellschaft die Schule weiterentwickeln.
Kimberger:Richtig. Ich sage aber auch: Wer Schule Jahr für Jahr neu erfindet, wird bald keine mehr haben. Wir brauchen wieder mehr Verlässlichkeit, damit wir uns auf die Kinder und deren Zukunft konzentrieren können.
Landau:Die meisten Lehrerinnen arbeiten hervorragend. Doch was schiefläuft, kann man nicht nur der Politik anhängen. Eltern haben einen Riesenleidensdruck – die schmeißen eine Party, wenn Kinder die Schule verlassen. Ich wünsche mir eine Allianz, dass man nicht jede bildungspolitische Kritik gleich als Lehrerkritik versteht. Es muss möglich sein zu fragen, ob der Lehrberuf der richtige Beruf für bestimmte Personen ist. Die Lamentiererei, es gebe keine Ausstiegsszenarien, lasse ich nicht gelten.
Kimberger:Interessant wäre eine Stiftung, in der Lehrer umschulen könnten. Auch die Durchlässigkeit sollte auf beiden Seiten erhöht werden: Leute aus der Praxis in die Schule und umgekehrt. Und es ist dringend notwendig, strenge Auswahlkriterien am Beginn der Lehrerausbildung greifen zu lassen. Ausbilder brauchen den Mut einem Studenten zu sagen: Dieser Beruf ist nichts für dich. Das funktioniert derzeit nicht. Diese Leute kommen mit falschen Vorstellungen in die Praxis. Ein Student sollte von Anfang an in die Klasse, um zu erleben: Mag ich Kinder? Halte ich Druck aus?
Reagieren manche Lehrer nicht etwas zu dünnhäutig auf Kritik?
Kimberger:Lehrer sind eine starke Berufsgruppe, die selbstbewusst auftreten kann. Manche Lehrer sind zu empfindlich, nehmen Kritik zu ernst. Wir brauchen ein besseres Image, damit es uns gelingt, von den jungen Leuten die Besten dafür zu gewinnen, Lehrer zu werden.
Landau: In manchen Bereichen können wir wegen Lehrermangels nicht aussuchen. Da muss man kreativ sein: Also außerschulische Unterstützung holen, ohne alles auf Ehrenamtliche auszulagern.
Kimberger: Man könnte z. B. Musikschulen in die Schulen holen. Hier sollte eine gesetzliche Basis geschaffen werden.
Kann die gemeinsame Schule eine Lösung für die pädagogischen Herausforderungen sein?
Kimberger: Mir hat noch nie jemand erklären können, was man unter Gesamtschule genau versteht. Wesentlich ist: Schule muss am Kind orientiert sein. Wenn eine innere Differenzierung stattfindet, in der das hochbegabte Kind genau so gefördert wird wie eines mit Defiziten und wir die Ressourcen haben, können wir das machen.
Landau:Das ist die gemeinsame Schule, für die ich eintrete. Derzeit muss die Volksschullehrerin eine Auslese machen – rein nach Defiziten.Hier wird die Grundlage gelegt, warum sich das Bildungssystem nicht an Stärken orientiert.
Kimberger: Dafür fehlen Ressourcen. Wir diskutieren jetzt, der Neuen Mittelschule Mittel zu entziehen und für Banken auszugeben. Der falsche Weg.
Brauchen Schulen in benachteiligten Gegenden mehr Mittel?
Landau: Ich bekenne mich dazu, dass die Schule in manchen Regionen auf die größeren Herausforderungen reagieren muss. Aber dazu braucht es genau dort auch dringend zusätzliche Mittel.
Kimberger: Ich wäre kein Gewerkschafter, wenn ich sagen würde: "Wir brauchen keine zusätzliche Mittel an belasteten Standorten." Was wir bekommen, – ich hoffe, dass wir dort einen Schritt weiterkommen – werden wir nehmen.
Dominiert die Beamtengewerkschaft die Bildungspolitik?
Landau: Als Lehrer sage ich: Die Vertretung wird unterschiedlich wahrgenommen. Die Politik wäre in der Pflicht, für Interessensausgleich zu sorgen. Eltern und Schüler haben einen geringeren Organisationsgrad, die Gewerkschaft hat Nähe zur Politik.
Kimberger: Die Gewerkschaft ist Interessensvertretung für Lehrer. Ich hab’ den Eindruck, dass Lehrer keine Rolle in der Bildungspolitik mehr spielen. Wenn die nicht Bestandteil sind, sondern nur Karriere-Theoretiker das Sagen haben, ist das eine Bankrotterklärung der Bildungspolitik.
Was erwarten Sie vom ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner?
Kimberger:Dass er ein spürbares Bekenntnis zur Schule abgibt und eine Diskussion jenseits der polarisierenden Standpunkte "differenziertes Schulsystem versus Gesamtschule" führt.
Landau: Genau. Ohne Scheuklappen diskutieren. KURIER.at/Familie
Der 47-jährige Oberösterreicher ist Hauptschullehrer (Mathematik, Informatik, Sport). Seit März 2012 ist der christliche Gewerkschafter oberster Vertreter der Pflichtschullehrer in Österreich, etwa bei den jüngsten Lehrer-Dienstrechtsverhandlungen. Kimberger beschreibt sich selbst als „zielorientiert und hart in der Sache“.
Daniel LandauEr ist ein Allrounder: Der 50-jährige ist studierter Betriebswirt, Dirigent und Lehrer für Mathematik und Musik. Er war Unterstützer des Bildungsvolksbegehrens und ist jetzt Sprecher der BildungsNGO jedesK!ND. Ziel: Kein Kind darf verloren gehen - seine Talente müssen entdeckt und gefördert werden.
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