Wandern im Tölzer Land: Jodeln lernt man gehend

Wandern im Tölzer Land: Jodeln lernt man gehend
Das Tölzer Land liefert die perfekte Kulisse für die Rufgesänge. Die lehrt ein echter Jodel-Profi am liebsten beim Wandern

Die Morgenluft am Rande von Lenggries hat frisches Waldaroma. Ein leichter Wind, am Boden kaum zu spüren, bewegt die Tannenwipfel. Meisen hüpfen durch die Zweige. Doch während sie schon wissen, was sie singen, bin ich hier im Isarwinkel noch auf der Suche nach den Tönen.

Beim Finden helfen will mir Norbert Zandt. Mit Wanderstab und Rucksack begrüßt mich der sportliche Typ am Hirschbachstüberl. „Dann können wir ja starten“, sagt er. In meine Aufbruchstimmung mischt sich so etwas wie Aufgeregtheit vor einem neuen Schulfach. Denn bei dieser Wanderung soll ich tatsächlich etwas lernen. Norbert hat den Ehrgeiz, mir das Jodeln beizubringen.

Er selbst ist zwar als Bayer damit großgeworden. Doch ganz aktiv pflegt der heute 62-Jährige die textlose Sangeskunst erst, seit er sie von dem Tiroler Musiker Markus Prieth gelernt hat. Das war vor acht Jahren. Da zog er vom Starnberger See ins Tölzer Land – und blieb damit dort, wo er am liebsten ist: im Alpenvorland. „Ich hab die großen Berge lieber ganz im Blick als direkt eine Wand vor meiner Nase“, bekennt der Outdoor-Enthusiast.

Wandern im Tölzer Land: Jodeln lernt man gehend

Nach der Dionysius-Kapelle führt der Weg allmählich aufwärts. In meinem Kopf: ein wirres Stimmen-Potpourri. Ich höre innerlich die Stars der Volksmusik, doch auch die kläglichen Versuche von Frau Hoppenstedt: „Holleri du dödl di, diri diri dudl dö…“ – aus der Jodelschule à la Loriot, anno 1978. Noch ein paar hübsche Bauernhäuser, dann wechseln sich nur Wald und Almen ab. Den Geierstein im Osten lassen wir links liegen und biegen ab gen Süden, im Visier das 1.601 Meter hohe Seekarkreuz. Bienen summen. Ein Quellbach plätschert direkt neben uns. Es riecht nach Tanne, Heu und Kräutern.

So lieblich mich die voralpine Landschaft auch umgarnt und animieren will, vor lauter Freude loszujodeln – was mir im Hals steckt, fühlt sich mehr nach einem Kloß an. „Zeit für einen Jodler!“, meint mein Begleiter und setzt seinen Rucksack ab. Unter einem Baum am Wegesrand soll es passieren.

„Da Erschte“, kündigt Norbert an. Dass sich uns in dem Moment zwei Wanderinnen nähern, stört ihn nicht im geringsten. Ganz im Gegenteil. Während ich noch mit mir selber kämpfe, lässt er sein trainiertes Gaumensegel bereits flattern. Die Damen sind entzückt. „Jo – i – jo, dijo – i – jo…“ wiederholt mein Jodellehrer langsam singend, wie ein Mantra. Bei jeder Silbenzeile wird die Stimme etwas höher.

Ho – la – ro und Dudldö

Wandern im Tölzer Land: Jodeln lernt man gehend

Nach dem dritten Mal fällt sie mit „…ho – la – ro“ nach unten. Und los geht es von vorn. Norbert winkt mir zu. Den Zuhörerinnen wird es nun zu interaktiv. Schnell suchen sie das Weite. Da war mein Einsatz! Ich habe ihn verpasst. Denn ausgerechnet jetzt drängt sich Frau Hoppenstedt mit ihrem Dudldö in meinen Sinn. Um vor Lachen nicht laut loszuprusten, beiße ich mir auf die Lippen und denke schnell an etwas Ernstes.

Wie zum Beispiel an die Geschichte des Jodelns. „Erfunden“ wurde das nämlich schon vor Jahrtausenden, um sich über größere Distanzen zu verständigen. Verwandte Techniken des melodiösen Rufgesanges gab und gibt es auf der ganzen Welt. In Europa ist das Jodeln hauptsächlich im Alpenraum zu Hause, wird aber auch in Skandinavien und den Karpaten praktiziert. In Norberts Leben hat das Jodeln einen festen Platz. „Als Ausdrucksmittel für Gefühle ist es beinahe universell. Das gilt für Glück und Freude ebenso wie für Traurigkeit und Wut“, so seine Erfahrung. Für ihn gehöre es zum Alltag – ob in Gesellschaft oder ganz allein beim Wandern, ob bei einer Hochzeit oder einer Beerdigung. An die hundertzwanzig Jodler umfasst sein Repertoire.

Wandern im Tölzer Land: Jodeln lernt man gehend

Im weiten Bogen schweift mein Blick über die zauberhafte Szenerie, bekrönt von den Gipfeln des Karwendel- und des fernen Wettersteingebirges. Endlich hab ich’s: Die Melodie steckt in der Landschaft! Norbert jodelt „Ho – e – i, ho – e – i…“ – und ich stimme ein, denn jetzt kann ich die Töne sehen. Von ganz unten auf der Blumenwiese schlendern sie – vorbei an braun und weiß gescheckten Kühen – die ganze Alm hinauf. Bei „diriti – ri – o“, wenn die Brust- in die Falsettstimme wechselt, nehmen sie das letzte Stück mit kessem Schwung, hopsen hoch und in den Wald hinein.

Noch einmal und noch einmal lassen wir sie springen. Im Übermut gibt es einen kleinen Unfall mit der Zweiten Stimme. Egal – und weiter! Es macht so viel Spaß. Oh Mann, bin ich das, der hier jodelt? Ich kann es gar nicht glauben. Norbert freut sich mit. Sicher denkt er: „Wieder ein Fan mehr!“ Und da hat er wirklich recht.

Wandern im Tölzer Land: Jodeln lernt man gehend

Klimafreundliche Anreise
Mit dem Zug über Salzburg nach München, dann per Bus nach Lenggries (ab 99 € p. P.)

Übernachten
Individuelles Frühstück:   Beim Gästehaus Werner
Familien-Zimmer: Der Altwirt in Lenggries

Essen und Trinken
Wanderrast: Tölzer Hütte am Brauneck 
Vegan: Hirschbachstüberl

Jodeln
Infos über die nächsten Jodelwanderwochenenden mit Norbert Zandt unter yaggatatam.com oder Tel. +49 8042/ 978 67 06 

Auskünfte
lenggries.de

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