Mit dem E-Motorrad durch die Schweiz: Eine Tour als Lebenswerk
So richtig erlebt man die Natur der Schweizer Alpenpässe erst auf dem E-Motorrad – und hört sogar die Kuhglocken.
25.05.22, 05:00
Der Tourguide nennt sich „Swizzlybiker“ und weist die sechs begeisterten Biker in die Regeln des Gruppenfahrens ein. Er heißt eigentlich Andreas von Allmen, trägt eindringlich vor und betont doch immer den Spaß, den die kommende Tour bereiten soll. Man spürt, Andreas von Allmen tut das hier aus Leidenschaft, einmal wird er auf der Tour sagen: „Ich hätte tausend Geschichten zu erzählen.“
Dazu wird es nicht mehr kommen, der Swizzlybiker ist vor ein paar Monaten völlig unerwartet verstorben. Die hier beschriebene Tour auf Elektro-Motorrädern ist sein Vermächtnis: die Bergwelt der Schweiz abgasfrei und ohne Lärm zu erleben, trotzdem die Freiheit auf einem Bike zu genießen – das wollte Andreas von Allmen mit dieser Tour vermitteln. Auf seinen Spuren kann man es nachmachen.
Die Positionen in der Bikergruppe sind vergeben, es kann losgehen. Ein leichtes Drehen am Gasgriff, das E-Motorrad rollt sanft los, hinaus aus Sarnen, einem kleinen Ort bei Luzern. Abstand zum Vordermann, seitlich versetzt. Keine Kupplung, keine Gänge, man gewöhnt sich rasch daran. Anfangs nur grüne Berghänge, dann weitet sich das Tal und macht dem Blau des Vierwaldstättersees Platz.
Die Bikergruppe rollt langsam zum Ufer und auf eine Fähre. Die erste Pause kommt nicht ungelegen, man kann jetzt die hohen Berge ringsum bestaunen. Andreas zeigt auf eine Wiese, an der das Schiff knapp vorbeifährt. Dort soll einst der Rütlischwur vollzogen worden sein. Ebenfalls am Ufer liegt das idyllische Brunnen, wo man sich im Victorinox-Museum im Zusammenbau eines Schweizer Messers versuchen kann.
Die ersten Etappen, meist auf wenig befahrenen Straßen, dienen zum Einstimmen auf die großen Alpenpässe. Die Fahrt führt durch dichten Wald, zwischen Weideflächen, über den 1.500 Meter hohen Pragelpass, nach hundertsechzig Kilometer erreicht die Gruppe das Tagesziel Malbun in Liechtenstein. Am Parkplatz vor dem Hotel liegen Kabel zum Laden der Akkus bereit, manche sind aber erst halb leer.
Am nächsten Morgen verlässt man Liechtenstein wieder durch ein schmales Tor in der massiven Festung St. Luzisteig: Die ehemalige Verteidigungsstellung der Schweizer Armee markiert den einst am meisten umkämpften Platz der Schweiz. Das passt für Bike-Unerfahrene zu der folgenden Bergstraße mit ihren engen Kurven, aber dieser Kampf lohnt sich. Am Ende steht man auf dem Plateau zum Berghaus Mottis und sieht ringsum nahe, schneebedeckte Berggipfel glitzern. Außerdem werden hier „Capuns“ serviert, Graubündner Schmankerln: Rollen aus Spätzliteig mit Gemüse und Fleisch, in Mangoldblätter gewickelt, mit Sauce und Käse überbacken.
Drei Burgen im Süden
Ab Davos geht es dann richtig in die Berge, der erste Höhepunkt ist die Auffahrt zum San-Bernardino-Pass. In langen Serpentinen schlängelt sich der Asphalt steil nach oben, in jeder Kurve müssen Schräglage und Geschwindigkeit passen, dann geht es mit kraftvoller Beschleunigung weiter bergauf. Trotzdem ist nur ein dezentes Zirpen des 110-PS-Motors zu hören, das sogar die Kuhglocken von der nahen Alm übertönen. Auf gut 2.000 Meter Seehöhe ist der Pass erreicht, die Biker stellen die E-Motorräder am Ufer des Sees ab, in dem sich die Berggipfel spiegeln.
Tagesziel ist die Stadt Bellinzona im Tessin. Hier ist der Süden der Schweiz, hier ist es auch im Spätsommer noch warm, ideal für den Spaziergang zu den Burgen von Bellinzona. Durch die mittelalterliche Altstadt mit reich verzierten Patrizierhäusern, vorbei an gepflegten Gärten mit weit ausladenden Palmen, hinauf zum antiken Gemäuer von Castelgrande, der ältesten und mächtigsten der drei Burgen der Stadt, eines der beeindruckendsten Zeugnisse mittelalterlicher Befestigungskunst im Alpenraum.
Die vier Zweitausender-Übergänge an den Folgetagen tragen klingende Namen: Lukmanierpass, Oberalppass, Furkapass, Grimselpass. Zwar führt der Weg aus dem warmen Tessin Richtung Norden, aber über wenig befahrene Straßen durch kleine Dörfer mit idyllischen Bauernhöfen, steinernen Fassaden und schiefergedeckten Dächern. Sogar eine alte Römerbrücke liegt am Weg. Die schwierigsten Passagen der Passstraßen lässt der Swizzlybiker seine Schützlinge einzeln fahren, jeder wählt das Tempo, bei dem er sich sicher fühlt. Sammelpunkt ist immer die Passhöhe.
Bergab lassen sich die schweren Maschinen vor den Kurven allein mit dem Zurückdrehen des Gasgriffs abbremsen, dabei wird übrigens der Motor als Generator genutzt und der Akku wieder geladen. Auf dem Furkapass, mit 2.429 Meter der höchste Punkt der Tour, verläuft die europäische Wasserscheide zwischen Mittelmeer und Nordsee. Talwärts führt die Straße durch eine karge Gebirgslandschaft, manchmal von glitzernden Bergseen durchbrochen.
Für die letzten Kilometer zurück nach Sarnen hat Andreas von Allmen kaum befahrene Güterwege gewählt, durch kleine Wälder, an Bauernhöfen vorbei. Nach siebenhundertfünfzig Kilometern in fünf Tagen kommt beim letzten Absteigen vom vertraut gewordenen E-Motorrad bei allen Wehmut auf. „Für mich ist die Schweiz mit ihren vielen verborgenen Tälern und Ortschaften ein Traumland“, sagt Andreas. Seine Tour ist der beste Weg durch diesen Traum.
Strecke
Die „Grand Tour of Switzerland“ ist eine 1.600 Kilometer lange Panoramastrecke durch schöne Orte der Schweiz, z. B. Davos (Hoteltipp: Hard Rock Hotel mit Biker-Devotionalien)
oder Bellinzona (Boutiquehotel La Tureta im Palazzo Scalabrini aus dem 18. Jahrhundert)
Motorrad
– Unter myswitzerland.com/harleydavidson sind auch E-Bikes mietbar. Diese Story wurde auf einer „Zero SR/F Premium“ mit Charge-Tank recherchiert (110 PS, 220 kg, Reichweite bis 300 km, Ladezeit 1–2 Std.), Miete z. B. in Perlen/ Luzern: motozentralschweiz.ch
– Hotels mit Ladestation unter: myswitzerland.com/e-grandtour
– Für Biker mit wenig Kurven- und Bergerfahrung oder Wiedereinsteiger empfiehlt sich ein Fahrtechniktraining: oeamtc.at/fahrtechnik
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