Unterwegs vor Alaska: Hinter den Kulissen eines Kreuzfahrtschiffes
Es ist, als ob eine riesige Fototapete aufgehängt wurde – die eisigen Bergriesen nehmen den ganzen Raum ein, einheitlich in Blau-Grau-Weiß von der Teppichleiste bis hoch zur Decke. Doch der kalte Hauch im Gesicht, der bis hierher vom Bergmassiv ausstrahlt, ist echt. Als wollten die Berge die Schiffspassagiere begrüßen, schicken sie einen kalten Kuss bis zum Deck des Kreuzfahrtschiffes, mit dem Alaskas Westküste erkundet wird.
Alyeska, weites Land, nannten die Ureinwohner der Aleuten das Festland. Der Name könnte für diese Wildnis, in der Bären, Elche, Wölfe und Karibus leben, nicht passender sein. Lesen Sie im Folgenden, wie die Crew des Schiffes arbeitet und welche Überraschungen man in Alaska erleben kann.
Alaska kann mit drei Millionen Seen, rund dreitausend Flüssen und einer Küste von achtzigtausend Kilometern Länge aufwarten. Hingegen hat der 49. Bundesstaat der USA nur wenige Straßen. Wer also die Westküste Alaskas erkunden will, macht das am besten vom Wasser aus.
Mehr als zweitausend Kilometer in acht Tagen
Eine äußerst bequeme Variante dafür ist ein Kreuzfahrtschiff, in dem Fall die „Norwegian Spirit“. Sie wird auf ihrem Weg von Seward ins westkanadische Vancouver in acht Tagen etwas mehr als zweitausend Kilometer zurücklegen – linker Hand stets begleitet von den grandiosen Landschaften.
Start ist in der kleinen Stadt Seward an der Kenai Halbinsel. Dort liegt das 286 Meter lange, bis zu 37 Meter breite und 14 Decks hohe Schiff – eines von insgesamt 17 Schiffen der Norwegian Cruise Line (NCL), das vor zwei Jahren komplett renoviert wurde – und wartet mit seiner 904 Personen starken Crew auf seine Passagiere. Auf dieser Tour ist das Kreuzfahrtschiff mit tausend Reisenden nur halb gefüllt. Es ist Anfang Juni, doch nur in den Tälern ist es grün. Die Bergmassive sind mit Schnee und Eis bedeckt.
In der Goldgräberstadt Valdez
Erster Landgang: Valdez, die Schweiz Alaskas, wie sich das Viertausend-Einwohner-Städtchen selbst nennt. Schließlich lassen die Berge und Gletscher ringsherum keine Alpinträume unerfüllt. Das alte Valdez, das Ende des 19. Jahrhunderts als Goldgräberstadt gegründet wurde, ist 1964 nach einem Erdbeben und der darauffolgenden Flutwelle zerstört worden. Traurige Berühmtheit erlangte es auch durch das Tanker-Unglück der Exxon Valdez, bei dem zweiundvierzig Millionen Liter Öl in den Golf von Alaska flossen und die Küsten verseuchten. Davon ist nun nichts mehr zu sehen.
Mit dem Kajak zu den Eiswänden
Eine Gruppe erkundet mit Kajaks den Gletschersee des Valdez-Gletschers, dessen Größe sich in den vergangenen Jahrzehnten verdoppelt hat. Ausgestattet mit warmen Overalls, Handschuhen und Gummistiefeln, paddeln die Kajakfahrer gemächlich an den Eiswänden und weißen Riesenbrocken vorbei, die der Gletscher kürzlich freigegeben hat. Es ist still hier, man hört nur das Eintauchen der Paddel ins eiskalte Wasser. Eine Pause mit heißem Kakao – und schon geht es zurück durch das Labyrinth der Eisberge und wieder an Bord.
Ein Gletscher, der wächst
Eine andere Art der Eisbegegnung erfolgt am nächsten Tag: „Like Ice in the Sunshine“ singt ein Gast leise vor sich hin und starrt gebannt auf die riesige Gletscherwand vor ihm. Die Kreuzfahrer sind am Hubbard-Gletscher in der Yakutat-Bucht angekommen, dem größten Gezeitengletscher Nordamerikas: Er ist einer der Gletscher, der – im Gegensatz zu den meisten anderen – an Dicke zunimmt. 122 Kilometer ist er lang, mehr als zehn Kilometer breit und 180 Meter hoch. Seine Abbruchkante ragt wie eine weiße überdimensionale Hochhauswand rund hundert Meter aus dem eisigen Wasser heraus.
Im Bauch des Schiffes
Während alle an Deck sind und aus der Ferne den Hubbard-Gletscher und die dahinter liegende St. Elias Bergkette im Sonnenschein bewundern, sind im Bauch des Schiffes viele Menschen in Aktion: In der Küche gibt Mathew Cole Anweisungen an seine fünfzig Köche. Der Executive Chef aus Kanada arbeitet seit siebzehn Jahren für NCL und fünfundzwanzig Jahre auf Kreuzfahrtschiffen insgesamt.
Im Bauch des Schiffes
Für Cole ist die Norwegian Spirit ein guter Arbeitsplatz, denn „das Schiff ist kleiner als andere Kreuzfahrtriesen, alles ist zentral zu erreichen“, sagt er. Ein extra Fleischerei-Bereich, in der Chef-Fleischer Ramon Santos arbeitet, und eine separate Fisch- und Geflügelabteilung schaffen Ordnung unter Deck.
Gleich um die Ecke – man riecht es schon von Weitem – befindet sich die Bäckerei: Dreißig Mitarbeiter arbeiten dort in drei Schichten, backen tagtäglich frisches Brot und Kuchen. „Neunzig Prozent des Brotes und der Semmeln werden an Bord hergestellt, und wir verbrauchen täglich drei- bis vierhundert Kilogramm Mehl“, erzählt Cristopher Lara, Bäckermeister von den Philippinen.
Auch in der Wäscherei herrscht reges Treiben. Schließlich fallen täglich große Mengen an Handtüchern und Bettlaken an. „Unsere vier großen Waschmaschinen haben eine Kapazität von zweihundert Kilogramm, die sechs Trockner von je siebenundzwanzig Kilo“, sagt Wäscherei-Chef Romer Abaring. „Das Wasser für die Wäsche entnehmen wir dem Meer und verwandeln es in Leitungswasser“, fügt er hinzu. Weiter hinten im Raum dampft es heiß. Hier sind sieben Kollegen rund um die Uhr dabei, die Wäsche zu mangeln.
Weiter unter im Maschinenraum ist Mihail Petrov als Erster Ingenieur Herr der Dieselmaschinen. 5,1 Meter große Propeller treiben das Schiff an. Petrov erhält seine Infos von der Brücke ganz oben an Deck 13: Joyce Arauz aus Panama ist Erster Offizier und lenkt den schwimmenden Koloss sicher durch das bis zu tausenddreihundert Meter tiefe Gewässer. „Wir fahren am effizientesten mit einer Geschwindigkeit von 17 bis 18 Knoten – also rund 32 Stundenkilometer. Doch wenn wir nahe Vancouver sind, befahren wir eine geschützte Region, hier müssen wir auf 14 Knoten, also auf 25 Stundenkilometer, verlangsamen“, sagt er.
Am nächsten Tag wird die ehemalige Goldgräberstadt Skagway angefahren. Die Urlauber lassen jedoch alle Spuren der Zivilisation hinter sich und steigen zu Jon Johnson in einen A350-Helikoper.
Anreise
Da Anflug- und Abflughafen meist verschieden sind, lohnt es, den Flug über den Kreuzfahrtanbieter zu buchen.
Flughäfen sind in Vancouver und Anchorage. CO2-Kompensation: 163 Euro, atmosfair.de
Alaska-Kreuzfahrt
Norwegian Cruise Line bietet zwischen Mai und September mehrere Fahrten in verschiedenen Längen an der Küste Alaskas an. ncl.com
0,41 Einwohner leben im Schnitt pro Quadratkilometer in Alaska (in Österreich: 109). Alaska ist der größte und zugleich leerste Bundesstaat der USA
Flug über den Gletscher
Der Pilot nimmt sie mit zu den abgelegenen Gletschern. Der Heli saust über die weiß-grau zerklüfteten Berggipfel, die den Chilkat-Gletscher überragen, die Mitfliegenden schauen in die von Flussarmen durchzogenen Täler und überfliegen den spektakulären Eisfluss des Meade-Gletschers.
Die Landung und ein Spaziergang auf der hundert Meter dicken Gletscherzunge ist ein besonderes Highlight. Dort stürzt ein kleiner Wasserfall in die Tiefe und färbt das Eis türkis-blau. Wieder an Deck, lässt man die Erlebnisse im Whirlpool Revue passieren.
In Juneau, Alaskas Hauptstadt, wird das große gegen das kleine Boot getauscht – es geht mit „Allen Marine Tours“ auf Walsafari: Eine Gruppe von Seelöwen ruht auf den Felsen, sogar Orcas mit ihren Jungtieren kann man beobachten. Im Anschluss daran steht eine Wanderung am Mendenhall-Gletschersee bis zu den rauschenden Nugget-Fällen an.
Vom Fischerhafen in den Regenwald
Ketchikan, ein geschäftiger Fischerhafen mit einer gut erhaltenen Altstadt, ist das nächste Ziel. Das Städtchen hält einen echten Schlechtwetter-Rekord: Hier fallen gut viertausend Millimeter Niederschlag pro Jahr.
Schlecht für die Touristen, aber gut für den üppigen Regenwald, durch den man bei einem Besuch im vierzig Hektar großen Alaska Rainforest Sanctuary spazieren kann. Guide Stephen Bower zeigt bei einer Tour durch das grüne Labyrinth die verschiedenen Baum- und Pflanzenarten, allen voran die Hemlocktanne und die Sitka-Fichten, die bis zu tausend Jahre alt werden können. „Die großen Blätter des sogenannten Stinkkohls werden gern von den Bären dieser Gegend gefressen, denn sie helfen ihnen bei der Verdauung nach der Winterruhe“, erklärt er.
Zurück in Ketchikan, ist es Zeit für einen Spaziergang: Auf den hölzernen Promenaden der Creek und Thomas Street, die auf Pfählen über dem Wasser gebaut wurden, spürt man den Charme des alten Städtchens. Ein letzter Tag auf See ohne Landgang: Im Liegestuhl genießen die Passagiere noch einmal die grandiose Landschaft, die an ihnen vorbeizieht. Und dann ist auch schon Vancouver erreicht.
Kommentare