Akagera Nationalpark in Ruanda: Wiedergeborene Wildnis
Olmoti bleibt gelassen. Gerade hat die behäbige Nashorndame unter Narkose einen neuen Sender erhalten, doch inzwischen scheint sie wieder ganz selbstsicher auf den Beinen. Drew Bantlin lächelt zufrieden. Der amerikanische Zoologe und seine beiden ruandischen Mitarbeiter betrachten den Dickhäuter aus der Ferne.
Olmoti scheint dem Forscher und seinem Team nicht viel Beachtung zu schenken. Sie verzieht sich gleich wieder ins Unterholz, nachdem sie den Pfad der Männer gekreuzt hat. „Sie geht uns aus dem Weg“, sagt Bantlin, den die Tiere sehr gut kennen. „Das ist auch gut so!“
Olmoti ist eigentlich Schweizerin. Sie wurde im Zoo Zürich geboren und lebt erst seit Juni 2019 in der afrikanischen Wildnis. Zuvor traf sie mit vier weiteren Nashörnern in einem tschechischen Safaripark zusammen. Von dort wurde die Gruppe zur Wiederansiedlung in den Akagera-Nationalpark nach Ruanda gebracht. „Es war die größte Aktion dieser Art überhaupt“, sagt Bantlin. Nach einer Eingewöhnungsphase im Gatter leben die Spitzmaulnashörner nun in freier Wildbahn, ständig begleitet von Bantlin und seinem Team.
„Das letzte Nashorn wurde in Akagera 2007 gewildert“, erzählt Bantlin, „2001 hatten Viehhirten bereits den letzten Löwen getötet“. Er wurde wahrscheinlich von ihnen vergiftet, sie fürchteten um ihre Herden. In Folge des Völkermords von 1994 mit mehr als 800.000 Toten hatten unter anderem rückkehrende Flüchtlinge aus Uganda das einst riesige Gebiet in eine Viehweide verwandelt. Elefanten, Büffel und Antilopen wurden von Wilderern dezimiert. Akagera war eines großen Teils seines einst berühmten Wildreichtums beraubt. Ruandas letztes Savannen-Ökosystem drohte zu verschwinden.
Immer auf Patrouille
2010 übernahm die Nichtregierungsorganisation African Parks in Zusammenarbeit mit dem Rwanda Development Board das Parkmanagement. Der größte Teil des einst 2.500 Quadratmeter großen, 1934 unter belgischer Mandatsverwaltung eingerichteten Schutzgebiets wurde den Viehhirten zugesprochen. Rund 1.100 Quadratkilometer ließ die Nationalparkverwaltung mit einem hundertzwanzig Kilometer langen Elektrozaun entlang der Westgrenze von den Weidegründen abgrenzen. Der Osten ist schwer zugängliches Sumpfland an der Grenze zu Tansania.
Ranger patrouillieren seither im Park. Die Wilderei – zumal auf Großwild – wurde seither bis auf wenige Ausnahmen ausgemerzt. Anders als in vielen anderen afrikanischen Schutzgebieten kam es während des Corona-Lockdowns auch nur vereinzelt zu illegalen Verstößen im Park – meist Fischer, die von den Rangern aufgegriffen wurden.
Wieder Big Five
Akagera gilt heute unter Afrikas Naturschützern als große Erfolgsgeschichte. Die Zahl der Wildtiere wuchs in den vergangenen zehn Jahren beständig. Neben Nashörnern wurden bereits 2015 wieder Löwen aus Südafrika angesiedelt. „Sie haben sich bestens eingelebt und hatten mehrfach Nachwuchs“, sagt Bantlin, der ihre Wiederansiedlung begleitet und erforscht.
Als wiedergeborenes Big-Five-Reservat zog der Nationalpark immer mehr Touristen an. Elefanten, Büffel und Leoparden hatten in kleiner Zahl bis 2010 überlebt. Ihre Populationen steigen seither wieder und sie zeigen sich regelmäßig auf Safaris. Zuletzt kamen annähernd 60.000 Besucher nach Akagera. Der Park finanzierte sich zu neunzig Prozent selbst.
Das 2019 eröffnete Magashi-Camp von Wilderness Safaris lockte als erste luxuriöse Lodge im Nationalpark auf Anhieb vermögende Touristen an, die zuvor bekanntere Safari-Ziele wie die Serengeti oder die Masai Mara vorzogen. Mit sechs üppig ausgestatteten Safari-Zelten entlang des riesigen Rwanyakizinga-Sees ist das Camp in eine einzigartige Sumpf- und Savannenlandschaft eingebettet – eine atemraubende Kulisse, die in Afrika ihresgleichen sucht.
„Wir hatten eine sehr gute Buchungslage, bis wir schließen mussten“, sagt Anita Umutoni. „Magashi war gerade erst dabei, sich unter Gästen herumzusprechen, die das Land zuvor nur wegen der Gorillas besucht hatten. Die zweiunddreißigjährige Ruanderin ist eine von wenigen Frauen in Ostafrika, die ein Luxus-Camp managen. „Wir hoffen, dass sich die Situation bald stabilisiert“, sagt sie. „Ich denke, Ruanda ist gut auf die Rückkehr der Touristen vorbereitet.“
In Afrika wird Ruanda vielerorts für seinen Umgang mit der Pandemie bewundert. In der Region gilt das Land weithin als Vorbild, das es nach dem Völkermord zu einem beachtlichen wirtschaftlichen Aufschwung geschafft hat. Ruandas autoritärer Staatspräsident Paul Kagame ist wie viele seiner Amtskollegen berüchtigt für die harte Unterdrückung der Opposition in seinem Land. Seine Verdienste um die Wirtschaft des Landes und eine progressive Umweltpolitik brachten ihm indessen auch international viel Anerkennung ein.
Mit einer wachsenden Population an Berggorillas im Vulkan-Nationalpark, dem Erhalt des artenreichen Nyungwe-Walds im Südwesten des Landes und der Wiederbelebung Akageras hat Ruanda zuletzt bewiesen, dass Naturschutz sich auch für ein dicht besiedeltes Land lohnt. Eine wachsende Zahl an Naturtouristen hatte in den vergangenen Jahren Ruanda als Alternative zu bekannteren Reisezielen für sich entdeckt. Nun kämpft es wie viele Länder Afrikas mit den Folgen der Pandemie.
Bio-Eier und Fischteiche
Akagera hat jedoch das Potenzial, in der Krise ein Modell in Afrika zu werden. Anders als in vielen anderen Nationalparks der Region waren bereits vor der Pandemie mehr als die Hälfte der Besucher Einheimische und in Ruanda lebende Ausländer. Wildhüter und Ranger wurden nicht gekündigt und ihre Gehälter weiter bezahlt. Während Schutzgebiete andernorts in Afrika teils weiterhin komplett ohne touristische Einnahmen überleben müssen und gleichzeitig immer mehr mit Wilderei kämpfen, besuchten viele Ruander bereits ab Juni wieder den Akagera-Nationalpark.
African Parks unterstützt in vielen umliegenden Dorfgemeinschaften Projekte, die auch unabhängig vom Safari-Tourismus weiterlaufen: Kleine Kooperativen produzieren Honig, nachhaltig angebautes Gemüse und Eier aus Freilandhaltung. Fischer, die vormals im Schutzgebiet arbeiteten, betreiben nun Fischteiche außerhalb der Parkgrenzen, Baumschulen ziehen Obstbäume und verteilen einheimische Setzlinge zur Wiederaufforstung. Die Nationalparkverwaltung fördert auch die Umwelterziehung an Bildungseinrichtungen, in Naturklubs und Dorfschulen.
„Ruanda zeigt, dass Erfolg im Naturschutz auch in schwierigen Zeiten möglich ist, wenn politischer Wille da ist“, sagt Sue Snyman von der School of Wildlife Conservation an der African Leadership University. „Durch die Pandemie wird deutlich, dass wir beim Unterhalt von Schutzgebieten nie alle Eier in einem Korb haben sollten.“ In Ländern, wo Nationalparks in der Vergangenheit allein auf ausländische Safari-Gäste gesetzt hatten, seien die Herausforderungen nun besonders groß. „Ich hoffe, wir haben unsere Lektion gelernt“, sagt Snyman. „Wir müssen überall in Afrika die Einnahmemöglichkeiten von Schutzgebieten diversifizieren.“
Derzeit scheint fraglich, ob und wann sich wieder Staus Dutzender Safari-Jeeps um einen Leoparden bilden werden wie vor der Pandemie in der Serengeti. Ob Afrikas berühmte Nationalparks ihren Wildreichtum auch über weitere Monate ohne Touristen bewahren können, bleibt vorerst ungewiss. Das wiedergeborene Akagera könnte jedenfalls in Zukunft für sie zu einem besonderen Vorbild werden.
Klimafreundliche Anreise
Nach Ruanda kommt man von Österreich nur mit Zwischen- stopp, zum Beispiel über Istanbul, Amsterdam, Brüssel oder Addis Abeba. Kompensation mit atmosfair.de: 77 Euro.
Beste Reisezeit
Ruanda hat ein mildes Klima, die Temperaturen im Akagera Nationalpark liegen ganzjährig zwischen 20 und 30 Grad. Wer trocken bleiben und eine gute Sicht auf die Wildtiere will, vermeidet die Regenzeiten zwischen März und Mai sowie zwischen Oktober und November.
Währung
In Ruanda zahlt man mit Ruanda-Franc (Aktueller Wechselkurs). In der Hauptstadt Kigali nimmt man oft auch US-Dollar an. Kreditkarten werden großteils nur in Kigali akzeptiert.
Unterkünfte
Das Magashi-Camp am riesigen Rwanyakizinga-See ist eine luxuriöse Lodge im Akagera-Nationalpark. Ihre Lage in einem menschenleeren Teil des Schutzgebiets, exzellente Guides und beste Safari-Küche versprechen Gästen einen erinnerungs- würdigen Aufenthalt. Die Campbetreiber Wilderness Safaris unterhalten auch ein Gästehaus im Gishwati-Nationalpark und die Bisate Lodge nahe des Vulkan-Nationalparks.
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