Paul Chaim Eisenberg: "Abwartende Sorge"
KURIER: Herr Eisenberg, im Ausland wird ein ernstes Bild ...
Paul Chaim Eisenberg: Apropos ernst, können wir mit einem Witz beginnen?
Ja, gerne.
Kommt ein Jude in Wien am Bahnhof an und fragt einen Mann: "War ihr Vater Nazi?" Sagt der "Nein, natürlich nicht." Dann geht er zum nächsten, auch der sagt "Nein, gar nicht." Fragt er einen dritten, und der sagt darauf : "Ja, mein Vater war Nazi." Sagt der Jude: "Sie sind ein ehrlicher Mensch, passen Sie auf meinen Koffer auf." Ich mag solche Witze, die nicht einfach plumpe Witze sind, sondern eine Geschichte mit Hintergrund erzählen ...
Das tut der jüdische Witz meist.
Genau. Und Humor ist mein Kampfmittel gegen den Fundamentalismus.
Ein Londoner Taxifahrer, auch Jude, hat mich einmal gefragt, wo ich wohne. Ich sagte ihm, ich komme aus Brüssel. Schaut mich meine Frau fragend an, und ich erzähle ihr, dass ich das letzte Mal, als ich "Wien" sagte, gefragt wurde "Was, in dem Naziland wohnen Sie?" Und ich musste ihm lange erklären, warum Österreich kein Naziland ist. Aber für mich ist nicht wesentlich, wie uns das Ausland sieht, wo oft die Nuancen nicht verstanden werden, sondern wie Österreich sich im Inland verhält.
Also gut: Was ist in der zweiten Hälfte der Zweiten Republik so schiefgegangen, dass die beiden Volksparteien SPÖ und ÖVP so abschmelzen und die FPÖ so wächst?
Ich habe in der jüdischen Gemeinde nicht die Aufgabe, politische Analysen zu machen, dazu haben wir den Präsidenten. Aber trotzdem mache ich mir meine Gedanken: Die beiden Parteien sind bei Weitem besser, als man sie verkauft. Aber sie sind nicht peppig, und es ist nicht aufregend, sie zu wählen. Andere können sich ein bisschen besser darstellen.
Warum ist es nicht aufregend?
Sie haben eine gar nicht so schlechte Arbeit gemacht. Aber es ist die Krise mit den Flüchtlingen dazugekommen, auch die wirtschaftliche Krise. Und die, die am Ruder sind, sind davon natürlich mehr betroffen als die, die sich lächelnd zurücklehnen und kritisieren können, ohne wirklich beweisen zu müssen, dass sie es besser können.
"Nicht so schlecht" reicht offenbar nicht aus.
Ja, und bei der FPÖ und anderen Rechtsparteien in Europa können einige Politiker sehr gut darstellen, dass sie auch zur Mitte gehören. Mir fehlt die eindeutige Abgrenzung nach rechts, aber viele Menschen merken das nicht. Außerdem haben bei der Wahl ja nicht 35 Prozent Rechtsextreme FPÖ gewählt, das ist genau das, was im Ausland nicht verstanden wird.
Wie erlebt die jüdische Gemeinde in Österreich den Aufstieg der FPÖ? Mit Sorge, mit Abwarten ...
Mit sorgender Abwartung und abwartender Sorge. Die FPÖ ist nicht von A bis Z rechtsextrem, aber man muss die problematischen Äußerungen sehen.
Ist die FPÖ in die Mitte gerückt?
Die Wähler kommen aus der Mitte.
Ich war kürzlich in Israel: Der Versuch der FPÖ, Stimmung für sich zu machen, wird skeptisch gesehen. Zu Recht?
Sie meinen, weil die FPÖ gegen die Islamisten ist?
Ich bin auch gegen die Islamisten, aber die FPÖ ist zum Teil nicht gegen Islamismus, sondern auch gegen den Islam. Und die FPÖ versucht sich als Partei darzustellen, die nichts gegen die Juden hat. Sie will von ihrem alten Image wegkommen.
Ist sie da glaubwürdig, vielleicht sogar wählbar?
Das braucht noch Zeit, und wirkliche, ehrliche Bemühungen. Soll man, wenn heute jemand B sagt, weil er sich um ein Amt bewirbt, streichen, dass er früher A gesagt hat? Sagt er B nur deshalb, weil ihm das eine bessere Presse bringt? Ich weiß es nicht. Man kann ja reifer und klüger werden, die FPÖ auch, aber dann gibt’s immer wieder diese Ausrutscher.
Sie haben den Flüchtlingsstrom erwähnt: Wächst dadurch der Antiislamismus und ersetzt den Antisemitismus, oder droht der durch radikale Muslime noch zu wachsen?
Bei den Rechten gibt es inzwischen jedenfalls mehr Antiislamisten als Antisemiten – wir Juden sind weniger und für sie keine Gefahr. Ich will den Antisemitismus bei uns nicht kleinreden, ich will ihn aber auch nicht großreden.
Wenn eine Partei nicht aufgrund ihrer Leistungen, sondern aufgrund der Schwächen der anderen möglicherweise stärkste Partei wird, müssen die Anderen nachdenken. Ich setze schon ein wenig Hoffnung in die Erneuerung der Regierung. Man wird sich dennoch an andere Prozentzahlen gewöhnen müssen. Und auch daran, dass es immer schwieriger wird, Koalitionen zu bilden. Aber ich glaube, die Zweite Republik lebt.
Wie gefällt Ihnen der neue Kanzler?
Von dem weiß ich gar nichts. Aber er hat schöne Anzüge. Nein, er macht einen dynamischen Eindruck. Der frühere Kanzler hat einen sehr ehrlichen Eindruck gemacht, dynamisch aber nicht unbedingt.
Was müsste die Koalition, die sich noch einmal zusammenschweißt, tun, um die weitere Veränderung der Prozentzahlen nach unten zu stoppen?Die haben ihre Berater, und nachdem ich nichts bezahlt bekomme, gebe ich jetzt keinen Ratschlag.
Hätten Sie einen?
Es braucht, glaube ich, keine revolutionären Umbrüche. Ein frischer Wind wird schon guttun.
Sollte Norbert Hofer Bundespräsident werden: Macht Ihnen die Ankündigung, aktiver zu sein und die Politik beeinflussen zu wollen, Sorge?
Sager im Wahlkampf gehören dazu. Und Sorge macht mir, wie viele Menschen auf simple Sager reinfallen.
KURIER-Serie: Zweite Republik - war's das?
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